Ich zweifelte keine Sekunde aam wahrheitsgehalt der Geschichte, die Peter uns da erzählte. Ich hatte keine Möglichkeit das zu beweisen, aber ich hatte eine ziemlich gute Menschenkenntnis in meinen Jahren in dieser Kolonie zusammengesammelt. Die Verweiflung und die Trauer, die der Junge anfangs noch scheinbar zu unterdrücken suchte, die dann aber, als er begann zu weinen, spätestens vollkommen zu Tage traten, waren echt, darüber musste ich nicht nachdenken. Wie Peter sich da in dem viel zu großen Stuhl, in meinem mantel, der für ihn wie ein zelt war, zusammenfaltete und sich fast versuchte unsichtbar zu machen konnte nicht gespielt sein. Connor war sofort zur Stelle, um sich dem Kind zu nähern und seinen Kakao in Sicherheit zu bringen. Ich spürte das schwere Bedürfnis in mir Peter in meine Arme zu nehmen und dafür zu sorgen, dass ihm keiner mehr weh tun konnte, aber das war sicher nur der Vaterinstinkt der ansprach und den ich nie hatte abschalten können. Peter hatte trotz seines jungen Alters schon mehr verloren als so mancher Erwachsener und mein Herz schmerzte für seine junge, geschundene Seele. Erst waren seine Eltern früh gestorben, dann sein geliebter Onkel und nun lag seine Tante sterbend im Krankenhaus und hatte seine Aufsicht den Behörden übergeben müssen die, wie doch eigentlich jeder wusste, sich kaum weniger darum scheren konnten was mit den kleinen passierte. Und trotz all diesem Mist wollte Peter weiter gehen und seine Familie, die Lebenden wie die Toten, nicht enttäuschen. Connor kam zu einem Schluss, der sehr viel Sinn machte und den ich sofort als richtig ansah. Für seine Schulbildung brauchte Peter das Geld nicht, wie er gesagt hatte war dafür gesorgt worden, und eigentlich sollte er sich auch nicht um andere Dinge sorgen müssen, bios er Volljährig war. Wozu brauchst du das Geld? Nicht für Drogen, wie ich persönlich annahm, er zeigte keine Anzeichen davon süchtig zu sein und ich war sehr gut darin das zu erkennen, wenn ich das von mir selbst behaupten durfte. Meine Stimme hatte nun einen Tonfall angenommen, den bisher noch niemand den ich verhört hatte von mir zu hören bekommen hatte, es war ein Tonfall, der eigentlich einzig meiner Familie vorbehalten war, warm, vorsichtig und verständnisvoll, der Selbe Tonfall, mit dem ich etwa Sumo ansprach, wenn er nervös oder ängstlich war und ich ihn beruhigen wollte.

Mit einem erstaunten Blick sah ich zu Connor auf, ich hatte nicht damit gerechnet, dass einer der beiden so reagieren würde, noch weniger der Android, aber ich machte mir darüber keine großen Gedanken, eigentlich war ich ihm hauptsächlich nur dankbar. Meine Augen weiteten sich allerdings bei seiner Feststellung und ich sah schnell wieder nach unten, um frustriert in meinen eigenen Schoß zu starren, wo die größeren Hände von Connor meine eigenen hielten. Schließlich warf ich Hank einen Blick zu, als er mit mir sprach, allerdings in einem anderen Ton als zuvor und ich spürte, wie sich eine angenehme Wärme in meiner Brust ausbreitete, mein Stirnrunzeln verschwand und wurde durch einen eher verwirrten Gesichtsausdruck ersetzt. Weil..., begann ich langsam, als wäre ich nicht sicher, was Hank meinte, ...ich essen muss? Das war nicht die ganze Wahrheit, ich hatte das Geld auch für das Testosteron gebraucht, aber hauptsächlich tatsächlich für das Essen. Etwas blitzte in meinem Gesicht auf, Besorgnis oder vielleicht sogar Angst, und ich war mir nicht sicher, ob ich die Frage wirklich beantworten wollte. Aber da war wieder dieses Gefühl, dasselbe, das mir gesagt hatte, dass alles in Ordnung sein würde, als sie mich gerettet hatten, und ich gab mir einen Ruck. Die ersten Pflegestellen waren die schlimmsten., begann ich hörbar zurückhaltend zu erzählen, Sie waren- es sind schlimmste Dinge dort passiert. Sie waren... abusive, denke ich. Ich hatte es meinem Sozialarbeiter gesagt, aber es wurde mir nicht geglaubt, also haben sie mich einfach ein paar Mal in den Stellen herumgeschoben. Sie haben mir gesagt, dieses Heim jetzt ist wahrscheinlich meine letzte Chance. Ich wandte meinen Blick wieder ab und starrte auf unsere verbundene Hände, die ich nun leicht drückte. Ich musste mich versichern, dass das real war, dass er wirklich da war, Android hin oder her, das kümmerte mich nicht. Ich schluckte. Es ist kein normales Pflegeheim., erklärte ich vorsichtig, Es ist eher ein Übergangsheim, für... Problemkinder wie mich. Ich zog meinen Kopf ein. Es ist eine Residenz nur für Jungen, aber es ist viel zu überfüllt, es wird Essen herausgegeben, aber nie genug und wenn man- wenn man etwas isst, dann bedeutet es, dass jemand anderer verzichten muss. Es gibt auch nicht immer genug Betten, viele Kinder schlafen in Schlafsätzen auf dem Boden und- ich weiß nicht. Ich... kann es einfach nicht ertragen dort zu sein. Ich weiß, ich sollte dankbar sein, überhaupt eine Unterkunft zu haben, aber- ich will keinen Ärger mehr bekommen und am Ende meine Schule verlassen zu müssen. Also bin ich einfach weggeblieben. Die Dame, die für das Heim zuständig ist, hat es zum Glück noch nicht bemerkt. Oder sie denkt, ich wäre weggelaufen und hat sich nicht darum gekümmert, es zu melden. Also habe ich meistens aus meinem Spind in der Schule und meinem Rucksack gelebt und mich nachts in die Turnhalle geschlichen. Ich fühlte mich bereits schuldig, das gesagt zu haben. Ich war mir eigentlich sicher, dass ich dafür Ärger bekommen würde, also kniff ich meine Augen zusammen und zog meinen Kopf noch weiter ein. Ich weiß, okay? Ich weiß, dass es falsch ist, und ich sollte zurückgehen und einfach- den Kopf unten halten, aber es- es stresst mich so sehr, dass ich weniger Angst davor habe, beim Einbruch in die Schule erwischt zu werden, als ich es bin in diesem Übergangsheim zu bleiben.

Peter wirkte erstaunt aber er zog seine Hände nicht zurück. Stattdessen ließ er mich seine Hände halten und ich hatte auch nicht vor diese los zu lassen. Der Junge wirkte als könnte er diesen emotionalen Beistand gut gebrauchen wenn er uns weiter aus seinem wirklich schweren Leben erzählte. Kinder in solchen Verhältnissen waren oftmals mehr als nur traumatisiert laut Studien. Der Tonfall – den Hank ihm gegenüber anschlug – ging jedoch durch mein gesamtes System und ich war mir sicher das ich ihn bereits gehört hatte. Durchaus in mehreren Situationen allerdings nie einer fremden Person wie Peter gegenüber. Dennoch konnte ich Hank nach vollziehen. Denn mit jedem Wort das dieser Junge von sich gab wurde ich nicht nur besorgter sondern erwärmte mich auch ihm gegenüber. Meine LED drehte sich in ein flackerndes Gelb.
"Peter." Ich unterbrach ihn mit sanfter aber dennoch strenger Stimme. Die Informationen – die ich bisher über Peter gesammelt hatten – fügten sich völlig nahtlos mit seiner Erzählung zusammen. Jedoch war ich mir leider sicher das er manche Sachen untertrieb oder relativierte. Eventuell redete er sie auch absichtlich schön. Jedoch war eine Sache für mich vollkommen klar – Peter dahin zurück zu lassen war für mich absolut keine Option – nicht nach allem was ich gehört hatte. Und wir mussten zu sehen das dieses Heim untersucht wurde genauso wie dieser Sozialarbeiter. Das war zwar nicht unser Ermittlungsgebiet – aber selbst wenn man uns die direkte Ermittlung untersagte – ich war mir sicher es würde sich ein anderer geeigneter Officer oder Detective dafür finden lassen. Ich warf einen Blick nach hinten um zu sehen wie Hank aus sah in diesem Moment. Meine LED flackerte kurz Rot auf. Ich sah zu Peter zurück. Mein Blick offen und schwer besorgt. "Peter nichts was du getan hast war falsch." Es erklärte noch immer nicht alle Details. Aber zumindest bestätigte es eine große Vermutung die ich gehabt hatte. So weh es mir auch tat.

Peter hatte sein geld für Essen ausgegeben. Für Essen, welches er eigentlich im heim hätte bekommen sollen, was er aber, nach dem was er weiter erzählte, nicht angerührt hatte, um es für andere Kinder aufzubewahren. Dieses Heim musste gründlich unter die Lupe genommen werden, das war vollkommen klar, egal ob nun von uns, oder von einem anderen kompetenten Kollegen, doch das konnte nicht so weiter gehen. Peter konnte dort auch nicht zurück geschickt werden, das war ebenso klar, ich wusste nicht was man saonst mit dem Jungen tun sollte, aber das war kein Ort für ein dermaßen schwer traumatisiertes Kind. Connor hat recht, du hast nichts falsches getan. Ich sah wie die LED meines Partners einen Moment rot aufflackerte und legte ihm daraufhin eine warme Hand auf die Schulter, um ihn etwas zu beruhigen. Ganz legal war es natürlich nicht Nachts in der Schule zu sein, aber da hatte ich schon über schlimmeres hinweg gesehen. Aber das ist trotzdem kein Leben, das du so weiter führen kannst. Ich seufzte leise und kratzte mich mit meiner freien Hand am Bart. Wie bist du in diesem Übergangsheim gelandet? Wie ein typisches Problemkind wirkte Peter nämlich nicht, dafür schien er mir zu brav zu sein, zu sanft, zu gutmütig.

Aber es ist doch verboten, oder nicht?, blinzelte ich schuldbewusst aus geröteten Augen Connor an, froh darum, dass keiner der beiden mich anschrie oder mich belehrte, es wirkte eher so, als ob sie sich Sorgen machen würden, und ich sah nervös von Connor zu Hank, der dem Androiden eine große Hand auf die Schulter legte. Es war ein schönes Gefühl, wenn ich mich auch gleich noch schuldiger fühlte, weil ich ihnen so viel Ärger machte, obwohl sie doch eigentlich gerade dabei gewesen waren einen Kriminellen aufzuhalten. W-Weil sie dachten, dass ich lüge über das, was in den Heimen passiert und dass ich meinem Sozialarbeiter nur Ärger mache, anstatt einfach zu gehorchen., murmelte ich auf Hanks Frage hin und sah wieder auf meinen Schoß hinab, Ich bin ein paar Mal verprügelt worden in den anderen Heimen, also dachten sie... dass ich den Ärger machen würde. A-Aber ich habe mich nie wirklich gewehrt, ich schwöre! Beinahe etwas verzweifelt, weil ich es einfach nicht so wirklich beweisen konnte und das wusste ich, immerhin war ich derjenige, der in ein Heim für Problemkinder gesteckt worden war und nicht meine Peiniger, sah ich wieder zu Hank auf, aus bittenden Augen, mir zu glauben. Ich hatte auch viel zu viel Angst gehabt, um mich zu wehren, denn ich wusste genau, dass seitdem Unfall in dem Labor meine Stärke deutlich größer war, als sie man mir ansehen würde. Hätte ich also meine Stärke eingesetzt, selbst aus Versehen, hätte jemand vielleicht vermuten können, was ich wirklich war, und ich versuchte alles, um das zu vermeiden.

Die breite, raue und beinahe immer warme Hand von Hank legte sich auf meiner Schulter ab. Und innerhalb der nächsten Sekunde drehte sich meine LED auch schon ein Mal im Kreis – um langsam vom Beginn der Drehung anfangend – sich wieder auf ein unruhiges aber immerhin nicht warnendes Gelb zu drehen. Es war gut das mir Hank zu stimmte. Die Zustimmung von Erwachsenen war für viele Kinder in diesem Alter noch sehr wichtig und ich wusste nicht in wie fern meine Zustimmung die selbe Auswirkung haben konnte. Schließlich war ich ein Android. "Es ist verboten." Ich antwortete Peter in einem ruhigen Tonfall. "Aber wir werden darüber hinweg sehen." Es war mir wichtig diese Tatsache direkt an zu sprechen. Zwischen den Freunden und Bekanntschaften von Hank – die in nicht völlig legale Geschäfte verwickelt waren – war es wie ein unausgesprochenes Bündnis. Aber Peter benötigte direkte Bestätigung.
Peter ist wahrscheinlich ein Metamensch. Aus purer Sorge hatte ich sofort meinen Scan aktiviert. Jedoch konnte ich keine Verletzungen feststellen. Die Observation die mein Analyseprogramm dabei machte war völlig unbeabsichtigt. Ich konnte diese jedoch auch nicht völlig bestätigen und ich beschloss diese Vermutung oder eher diesen wahrscheinlichen Tipp für mich zu behalten. Ich war lediglich besorgt gewesen als ich seine Aussage über das Heim gehört hatte. 'Ich bin ein paar Mal verprügelt worden in den anderen Heimen' Unglücklich zogen sich meine Augenbrauen zusammen. Ich drückte die Hände von Peter zurück. Gerade war ein anderes Thema immerhin deutlich wichtiger. "Ich glaube dir" Peter war verzweifelt danach dies bestätigt zu bekommen. Jedoch lag die Vermutung – das ein Junge mit den Charakterzügen die uns Peter bisher gezeigt hatte – aggressiv gegenüber anderen Kindern geworden wäre auch nicht nahe. Ich sah zu Hank hinauf und schüttelte bekümmert den Kopf. Hank hatte vollkommen Recht gehabt. Es war kein Leben das dieser Junge so weiter führen konnte. "Wir werden dich nicht dorthin zurück schicken."

Peter war sich vollauf bewusst was er getan hatte, was wieder dafür sprach, dass er sehr wohl zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte und zumindest eine Art moralischen Kompass hatte. Schau, Kleiner, du hast niemanden umgebracht oder ausgeraubt, wir werden dir nicht die Handschellen anlegen. Ich zuckte leicht mit den Schultern und beobachtete aus dem Augenwinkel wie sich Connors LED wieder zurück auf gelb drehte und beruhigte, was mich auch wieder etwas entspannte. Peters Geschichte, wie er in dieses Heim gekommen war, was nicht minder schlimm als der Rest seines Lebens, von dem wir jedenfalls soweit wussten. Er war verprügelt worden und hatte versucht sich an die Personen zu wenden, die ihn hätten schützen sollen und nach dem ihm so lange keiner ein Wort geglaubt hatte, flehte er uns förmlich an das nun zu tun. Ich glaube dir auch. In meiner Stimme war kein Fünkchen zweifel zu hören, ich hatte bisher immer auf mein Bauchgefühl vertrauen können und wenn es mich diesesmal im Stich ließ, dann würde ich eben mit fliegenden Fahnen untergehen und damit leben. Ich erwiderter Connors Blick und seufzte leise, mein Partner hatte vollkommen recht, wir würden den Jungen nicht in dieses Heim zurück schicken, aber was sollten wir sonst mit ihm machen? Ich rieb mir einen Moment die Nasenwurzel und sah peter dann wieder an. Connor und ich werden das ganze jetzt einen Moment besprechen, bleib hier sitzen, trink deinen Kakao und versuch dir keine Sorgen zu machen, okay? Wir finden schon eine Lösung für... das alles. Ich deutete wage durch die Luft und zog dann leicht an Connors Arm, denn ich wollte ihm instinktiv aufhelfen.

Erleichtert sackte ich in den Stuhl zurück, einfach nur froh darüber, dass das Klingeln aus meinen Ohren verschwand, so nervös war ich gewesen, diese Sachen zuzugeben, aber zumindest bestätigten mir beide, dass ich dafür nicht bestraft werden würde. Ich atmete erleichtert durch und sah dann mit großen Augen zwischen den beiden hin und her, bevor mein Blick schließlich bei Hank hängenblieb, als ich sein Seufzen hörte. Ich lugte schließlich zu meinem Kakaobecher hinüber, der noch am Tisch stand, dort wo Connor ihn abgestellt hatte, als er meine Hände ergriffen hatte, und nickte dann pflichtbewusst. Ja, Sir., stimmte ich sofort zu, mein Herz klopfte aufgeregt in meiner Brust, zum einen hatte ich Angst, aber zum anderen blieb mein Spidey-Sense ruhig und ich hoffte auch hier wieder vertrauen zu können, dass er mich warnen würde. Ich wollte nicht mehr alleine sein, ich wollte einfach nur weiterleben.

Das Seufzen von Hank war mir bereits genug Antwort gewesen. Ich war mir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit fast vollkommen sicher das wir dieselben Schlussfolgerungen gezogen hatten. Sachte ließ ich meine Hände locker damit Peter – wie von Hank empfohlen – seinen Kakao wieder zu fassen bekam und trinken konnte. Ich zog sie schließlich zurück und erhob mich langsam wieder mit der Hilfe von Hank um von Peter weg treten zu können. Hank zog an meinem Arm und es war auch deutlich besser so. Denn wenn ich Peter betrachtete – in der zu großen Jacke von Hank mit der heißen Schokolade und seinem braven Gehorsam – dann wurde es immer schwerer für mich ihn gerade allein zu lassen. Ich befürchtete ich konnte es nicht rational erklären. Aber ich fühlte für diesen Jungen noch mehr mit als sonst oft mit unseren unschuldigen Betroffenen.
"Bis gleich Peter." Nach dem mir Hank aufgeholfen hatte hatte ich mich von ihm auch gleich weiter ziehen lassen. Wir begaben uns weiter zurück – weg von dem vollen Büro in einen der Seitengänge die zum Archiv führten – dort wo sich kaum jemand um diese Zeit befand. Ich sah Hank direkt mit beiden Augen an die Augenbrauen beide angehoben. "Was denkst du Hank?" Ich musterte ihn besorgt und neigte meinen Kopf etwas um ihn von unten herauf besser analysieren zu können. Außerdem hatte mir Hank ein Mal gesagt das es mich ähnlich wie einen Hundewelpen wirken ließ und dieser Vergleich hatte mir durchaus gefallen. Ich legte eine Hand an seinem Oberarm ab. Ich wollte auch nun wieder seine stumme Unterstützung sein. Es war ein großer Konflikt vor dem wir gerade standen und ich wusste das wir eine Entscheidung treffen mussten. Eine Entscheidung mit sehr vielen unterschiedlichen und differenzierten Variablen.

Ich nickte Peter noch ein letztes Mal zu und hielt ihn einen moment noch länger im Blick, während Connor und ich fort gingen um zu reden, aber ich glaubte nicht, dass der Kleine Ärger machen würde, meiner Einschätzung nach würde er genau das tun was ich ihm gesagt hatte, sich ruhig verhalten und seinen kakao trinken, der er vorhin schon sehr sehnsuchtsvoll beäugt hatte. Nun sah ich wieder Connor an, welcher mich anschaute wie ein Welpe, der auf ein Kommando wartete, dem er vielleicht folgen würde, oder auch nicht. Seine hand an meinem Arm war warm und ich legte ohne darüber nachzudenken die Hand darauf. Unsere Beziehung war im revier nun mehr als nur öffentlich gemacht worden und solche Aktionen waren mir hin und wieder erlaubt. Scheiße, wenn ich das wüsste. Wir können den Kleinen nicht zurück in sein Heim schicken, aber auf die Straße kann er auch nicht, das ist doch verdammt nochmal kein Leben für ein Kind, aber was zur Hölle bleibt dann noch übrig? Ich rieb mir mit einer Hand über mein gesicht. Hat er nicht doch irgendwo irgendwelche Verwandten die ihn nehmen können? Und kannst du mir bitte nachschauen ob seine Tante noch lebt? Wenn sie schon tot ist können wir noch einen Nagel in seien Sarg schlagen, was denkst du wie viele Verluste ein kleiner Junge erträgt?

Mit leicht baumelnden Beinen saß ich nun auf meinem Stuhl in der mir viel zu großen, aber noch immer sehr angenehmen und sicher wirkenden Jacke, und versuchte mich kurz zu einem Lächeln in Richtung Connor und Hank zu zwingen, auch wenn es einfach nicht so wirklich klappen wollte, während ich sie dabei beobachtete, wie sie langsam aus meinem Blickfeld verschwanden. Es war, als ob plötzlich alle Geräusche um uns herum viel lauter werden würden und ich spannte mich kurz an, als ich bemerkte, wie mein Spidey-Sense unangenehm flirrte, wahrscheinlich weil zu viele Personen um mich herum waren und ich niemanden hatte, auf den ich mich gerade konzentrieren konnte. Aber ich wollte brav sein, also zwang ich mich dazu von dem Kakao zu nippen und einfach zu hoffen, dass die beiden bald wieder da waren. Ich atmete ganz leise aus, während ich die Augen schloss und versuchte mich zumindest ein wenig zu entspannen.

Sanft und betroffen lächelte ich als sich die Hand von Hank über meine legte. Ich drückte die warmen menschlichen Muskeln seines Oberarmes ein Mal sanft mit meinen Fingern und beließ meine Hand dann unter seiner Hand liegen. Seine Frustration war ihm deutlich an zu sehen. Ich war mir sicher es konnte nicht einfach sein wieder mit so einem Thema konfrontiert zu werden. Auch wenn es Teil unserer Arbeit war. Ich ließ Hank völlig aussprechen und begann dann zu recherchieren. Trauma in Kindern wird von folgenden Faktoren beeinflusst: 'Schweregrad des Ereignisses'. 'Nähe zum Ereignis. 'Reaktionen der Erwachsenen.' 'Vorgeschichte von Traumata'. 'Familiäre und gemeinschaftliche Faktoren'. Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf. "Kinder – die ständig traumatischen Ereignissen ausgesetzt sind – entwickeln mit größerer Wahrscheinlichkeit traumatische Stressreaktionen." Hank hatte bei seiner indirekten Vermutung sicherlich Recht. Noch ein traumatisierendes Ereignis könnte noch schlimmere Auswirkungen auf die Psyche des Jungen haben.
Meine Recherche lief wie immer effizient und erfolgreich ab. Jedoch würden die Ergebnisse vermutlich für Hank nicht gerade zufrieden stellend sein. Meine LED drehte sich bereits wieder auf Gelb und begann zu blinken als ich begann die Fragen der Reihe nach zu beantworten. "Seine Tante – Maybelle Parker – liegt derzeit im künstlichen Koma im Huerta Memorial Hospital. Ihr Schicksal laut Krankenakte ist ungewiss aber sie könnte theoretisch noch aufwachen. Die Wahrscheinlichkeiten sind allerdings niedrig." Selbstverständlich hatte ich keinen direkten Zugriff auf die genauen Daten einer Patientin – diese müsste man beantragen – jedoch konnte ich durch die Art der Krankheit und ihren aktuellen Zustand eine relativ genaue Prognose berechnen. Ich schüttelte den Kopf. "Es gibt jedoch keine weitere noch lebende Familie." Verstorbene Eltern und verstorbener Onkel. Peter hatte nie mehr Familie gehabt als diese. Es ließ sich nur ein logischer Schluss daraus ziehen auch wenn mir meine nächsten Worte selbst überhaupt nicht gefielen. "Ich fürchte in diesem System können wir nicht viel für ihn tun." Ich zuckte fast zusammen – hätte ich nicht die Kontrolle über meine körperliche Hülle – als ich diesen Satz sagen musste. Für eine kurze Sekunde blinkte meine LED rot bevor wieder der unruhige Gelbton zurück kehrte.

Fuck! Es fiel mir sehr schwer meine Stimme wenigstens leise genug zu halten, dass Peter nichts genaues verstehen konnte, aber am liebsten wollte ich laut schreien und wo dagegen treten. Verdammte Scheiße, wie soll der Kleine so noch eine Chance haben? Ein Trauma nach dem anderen und das bei so einem jungen Kind. Sicher, ich kannte solche Geschichten zur Genüge, jeder Polizist tat das, aber es tat immer wieder weh es zu sehen und bei einem Kind so jung wie Peter... Es war als ob ich Cole dort sitzen sehen würde, Cole in einer Welt in der nicht er, sondern ich gestorben wäre. Ich bezweifelte, dass seine liebe Mutter sich sehr seiner angenommen hätte, sicher hätte sie ihn abgegeben, ich kannte dieses Weib doch, und dann wäre mein Sohn ebenfalls völlig alleine gewesen, alleine in einem System, das ihn nicht haben wollte. Scheiße nein, das kann doch nicht sein, es muss doch irgendwas geben... Seine Tante würde vermutlich sterben, ich sah das höchst realistisch an und wenn Connor schon sagte, dass die Wahrscheinlichkeit ihres erwachens gering war, dann entsprach das auch schlicht den Tatsachen. Unzufrieden und fluchend vor mich hinmurmelnd begann ich vor Connor auf und ab zu gehen, während ich mir den dicken Schädel darüber zerbrach was man in diesem kaputten system für diesen Jungen tun konnte. Ich meine... wenn ihn wer adoptieren würde, der ihn nicht wieder hergibt... Ich wurde langsamer als eine verdammt irrsinnige Idee sich in meinem Kopf bildete und ich sah zu Connor um zu sehen ob er eine ähnliche hatte, ohne sie auszusprechen, als könnte mein Ehemann gedanken lesen. Aber man kann ja nicht einfach jedes arme Kind von der Straße aufklauben, oder? Das ist doch verrückt. Außerdem haben wir nie über Kinder geredet. Ohne Zweifel meinetwegen. Connor wäre ein guter Vater.

Um ehrlich zu sein bemerkte ich, als ich endlich meine Augen schloss, wie erschöpft ich eigentlich von der gesamten Sache war. Heute war ein wirklich anstrengender Tag gewesen und, wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich mir vielleicht sogar einen Moment gewünscht, dass es der letzte Tag gewesen wäre, so düster und falsch sich dieser Gedanke auch anfühlte, ich hatte einfach keine Energie mehr gehabt, um noch weiter zu kämpfen, um stark zu bleiben. Aber gerade unter der angenehmen, riesigen und vor allem warmen Jacke, selbst unter all diesen Leuten, döste ich leicht weg und sackte einfach in den Stuhl hinein, zusammengefaltet, wie um möglichst wenig Platz einzunehmen.

Selbst wenn ich meine Gefühle nach außen hin kontrollierte das man kaum einen Unterschied erkennen konnte so konnte ich Hank dennoch gut nach vollziehen. Die Situation war mehr als nur schwierig. Und sollten sich meine Vermutungen bestätigen – und Peter tatsächlich ein nicht-registrierter Metamensch sein – würden sie sich sicherlich nur noch verschlimmern. Jedoch behielt ich diese Aussage noch für mich. Ich hatte noch keinen konkreten Beweis und ich wollte Hank nicht noch mehr aufregen. "Er scheint in einem sehr fragilen Zustand zu sein." Ich schüttelte den Kopf und drückte den Oberarm von Hank unter meiner Hand. "Ich bin genauso besorgt wie du Hank. Das ist keine förderliche Situation für einen kleinen Jungen." Sein gesundheitlicher Zustand musste außerdem auch noch abgeklärt werden. Durch meine Einschätzung war er eindeutig untergewichtig jedoch war das nicht der einzige Punkt der mir Sorgen machte. Zeit für einen genaueren Scan war allerdings noch keine gewesen.
"Hank..." Fest sah ich Hank in die eisblauen Augen. Die Augen des Mannes – den ich liebte und geheiratet hatte – die mir dieselbe Idee versprachen wie ich sie auch als Lösungsvorschlag errechnet hatte. Er musste seinen Gedanken nicht weiter aus formulieren. Wie ich ihm auch keine weitere Bestätigung geben musste. Es war uns beiden völlig bewusst – dass wir gerade am selben Punkt angekommen waren – und ich musterte sein Gesicht. Ich wusste das Hank so eine Entscheidung niemals auf die leichte Schulter nehmen würde. Dennoch waren 'Kinder' bisher immer ein schwieriges Thema bei ihm gewesen. Besonders wenn ich daran dachte als wir das Kind in der Messehalle gefunden hatten. Peter war selbstverständlich um einiges älter aber dennoch war ich in beide Richtungen besorgt. Ich löste mich von Hank und trat an die Scheibe – um zu Peter zu sehen – der beinahe ruhig unter der Jacke von Hank schlief. Klein und zusammen gezogen. Trotz der überdurchschnittlich lauten Lautstärke um ihn herum. Ich legte meine Hand auf die Scheibe und beobachtete das Kind. "Er schläft." Meine Stimme war nun leise und kaum zu hören. Ich sah zu Hank zurück. Meine LED drehte sich auf einen alarmierenden Rotton und ich bemerkte wie meine Tränenflüssigkeit in meinen Augen wieder deutlich anstieg. Denn eine Sache war offensichtlich. Peter ist schwer erschöpft.