Ich musterte konzentriert Connors Gesicht und vergaß darüber ganz meine Hand wieder zurück zu ziehen, sie befand sich aber auch nicht eben in einer unangenehmen Situation. ja, Gefühle sind scheiße, aber du wirst lernen damit umzugehen, musst du ja wohl auch. Ich zögerte einige Sekunden, ehe ich meine nächste Frage doch stellte, denn ich musste die Antwort wissen, ehe ich weiter überlegen konnte was als nächstes passieren würde. Sag mal, wird dich irgendwer suchen kommen?

Das kaum da gewesene Lächeln verschwand wieder. Meine LED drehte sich ein paar Mal. Sie war noch immer gelb. Aber zumindest nicht mehr rot. Dann schüttelte ich meinen Kopf. Die Frage war selbstverständlich gerecht fertigt. "Nein. Zumindest nicht direkt." Sie hatten keine direkte Möglichkeit mich zu lokalisieren. Und es hatte mich auch niemand das Gebäude verlassen gesehen. Außer Amanda. Aber ich wusste auch nicht wo sie nun überhaupt war. "Androiden sind alle mit einem Tracker ausgestattet mit dem CyberLife sie lokalisieren kann. Aber sobald ein Android zum Abweichler wird funktioniert der Tracker aus unbekannten Gründen nicht mehr." Zumindest standen mir diese Gründe nicht zur Verfügung. Viele interne Informationen von CyberLife waren nach außen hin unbekannt. "Das ist einer der Gründe warum es CyberLife so schwer fällt gegen die Abweichung vor zu gehen."
Mein Blick wanderte zu Sumo. Der vor unseren Füßen lag. "Außerdem bin ich mir nicht sicher ob ich sie überhaupt so weit interessiere." Bestimmt würden sie mich wie jeden anderen Abweichler auch untersuchen lassen. Aber ob und wie ich nun mein Ende fand war für die Firma an sich irrelevant. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. "Ich wäre sonst nicht gekommen. Wenn ich dich dafür in Gefahr gebracht hätte."

Ich nickte langsam, denn das waren gute Nachrichten, die das alles wesentlich leichter machen würden, auch wenn ich alles daran gesetzt hätte eine Lösung zu finden, wäre etwas anderes der Fall gewesen. Ich will hoffen, dass du trotzdem hergekommen wärst du Idiot. Aber gut, wenn dich keiner verfolgt, dann kann ich das Haus verlassen ohne zu befürchten, dass ein Überfallkommando kommt und dich und mein Haus zerstört. Für mich war klar, dass Connor stehen konnte, wenn er wollte, ich würde ihn sicher nicht rauswerfen.

Eine flüchtige Sekunde war ein scherzhaft beleidigter Ausdruck über mein Gesicht gelegt gewesen. Schließlich bezeichnete er ein fortgeschrittenes Modell wie mich als Idiot. Dann wurde ich allerdings vom Rest seines Satzes abgeleitet. Wie er es gesagt hatte ließ es für mich nur einen Schluss zu. Ich darf hier bleiben? Unsicherheit stand mir ins Gesicht geschrieben. Vorsichtig beschloss ich direkt nach zu fragen. "I…Ich darf hier bleiben?"
Meine Körperhaltung. Mein Blick. Die Art wie ich die Frage ausgesprochen hatte. Alles zeugte von Unglauben. Aber auch einem indirekten Flehen. Ich war hier nur auf gut Glück her gekommen. Weil es das Beste war das ich tun konnte. Aber ich hatte nicht erwartet hier länger bleiben zu können.

Ich schnaubte und verdrehte die Augen. Ja natürlich darfst du hier bleiben, ich setze keinen freund vor die Tür, der keine Bleibe hat, wofür hältst du mich denn? Ich war nicht wirklich beleidigt, doch tat einige Sekunden so, ehe ich wieder etwas amüsierter aussah. Außerdem freut sich Sumo über Gesellschaft.

Eine Sekunde verging. Zwei. Ich blinzelte. Meine LED drehte sich. Und wurde blau. Mein Gesicht wechselte von gezeigter Unsicherheit zu einem Lächeln. "Freunde." Ein ästhetisches, sympathisches und einfach strahlendes Lächeln. Nicht eingeübt oder vorprogrammiert. Es war authentisch. Echt. Voller Freude. Ich bemerkte wie auch dieses Gefühl meine Thiriumpumpe anregte. Aber es war ganz anders als die Panik und Unsicherheit zuvor. Angenehm. Aufregend. Es machte mich neugierig. Und das nicht nur aufgrund meiner Programmierung.
Ich drehte meinen Kopf zu Sumo. Dieser lag noch immer vor uns am Boden. Wünsche zu äußern war mir nur formal möglich gewesen. Tatsächlich meine Missionen zu ändern war schwierig gewesen. Ich habe keine Missionen mehr. Keine Aufgaben. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich war noch etwas überfordert. Hilfe suchend sah ich zu Hank. Eigene Aufgaben anlegen? "Ich würde gerne einmal mit Sumo spazieren gehen."

Connors Lächeln war so strahlend, dass es einem beinahe in den Augen weh tat, doch ich spürte wie mein eigenes Herz sich etwas zusammenzog, in etwas, was nur Freude sein konnte, denn immerhin war ich der Auslöser für dieses Lächeln. Ich sah zu Sumo hinab, als Connor von ihm sprach und beim Wort "Spazieren" hob der große Rüde seinen Schädel vom Boden, während er mit der Rute zu wedeln begann. Das wird ihn freuen, er kommt nicht mehr so oft raus, nicht wahr Junge? Alleine meine Schuld, ich hatte oft einfach weder Lust noch Energie Sumo mit rauszunehmen, damit blieb ihm meistens nur der Hintergarten zum Auslauf.

Ein Stück neigte ich mich nach vorne. Wie zuvor streckte ich behutsam meine Hand aus. Um dem großen Hund über seinen breiten Kopf zu streicheln. Mit meiner freien Hand jedenfalls. Ich wusste nicht wie lange es üblich war die Hände zu halten. Aber Hanks Anwesenheit hatte offenbar eine beruhigende Wirkung. Deshalb merkte ich auch nichts an. Grundsätzlich waren alle Ausdauer-Sportarten für Hunde geeignet. Zugleich waren Ausdauer-Sportarten auch sehr gut dazu geeignet die menschliche Fitness anzuregen. Ich fragte mich ob ich es schaffen konnte Hank nun indirekt bei seiner Gesundheit unter die Arme zu greifen. Solange ich dabei keine Grenze überschritt. Ich wollte nicht das ich Hank eine Störung in seinem Alltag war. Aber ich hatte auch kaum Vergleichsmaterial.
Mit Hank und Sumo spazieren gehen. Der Gedanke löste etwas in mir aus. Aber ich konnte es noch nicht ganz einteilen. Die Ungewissheit wühlte mich auf. Aber machte mich neugierig zugleich. "Hank?" Ich sah wieder zu ihm. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. "Würde ich eine Grenze überschreiten…" Unsicherheit stand mir wieder ins Gesicht geschrieben. "…Wenn ich nach einer Umarmung fragen würde?"

Sumo freute sich deutlich über Connors Aufmerksamkeit und ich bemerkte erst langsam, dass ich immer noch die Hand des Androiden hielt, als dieser mich wieder ansprach, denn für eine Umarmung waren zwei Arme besser geeignet als einer. Ich lächelte leicht bei seiner Frage und ignorierte die Verlegenheit die in mir aufstieg aufgrund des Händchenhaltens, während ich Connors Hand wieder losließ und einladend die Arme öffnete. Ist okay Kleiner, komm her. Was auch immer ihm half würde ich tun. zudem konnte ich nicht behaupten, dass es unangenehm war Connor zu umarmen.

Erleichterung. Zum Glück befand Hank meine Nachfrage nicht als seltsam. Ich hatte mich nur an die Mission mit dem Schmugglerring erinnert. Und wie sehr mir die Umarmung damals geholfen hatte. Also tat ich auch genau das wieder: Ich stürzte mich in Hanks Arme. Natürlich mit Vorsicht. Ich war schließlich noch immer stärker als ein Mensch. Meine Hände platzierte ich unter seinen Armen hindurch auf seinem Rücken. Meinen Kopf in seine Schulter vergraben. Ich war mir nicht sicher wie genau Umarmungen am Besten funktionierten. Aber das heraus zu finden hatte in dieser Situation auch nicht die wichtigste Priorität für mich.
Eine Weile war ich einfach nur in diesem Moment. Hanks Wärme. Hanks Körper. Hank. Ich war hier. Und in Sicherheit. Zumindest zunächst. Meine nächsten Schritte waren unklar. Aber ich konnte sie jetzt noch nicht bestimmten. Ich bin gerne bei Hank. Ich schloss meine Augen. Ich fragte mich wie es war Temperaturen und nähe subjektiv aus der Sicht eines Menschen zu empfinden. Meine Thiriumpumpe arbeitete wieder schneller. Aber es war nicht unangenehm. Nicht bedrohlich. Vielleicht war das diese subjektive Nähe. Nur eben für Androiden.

Conmor krachte in meine Arme und ich legte sie um seine schmale Form, wie schon bei unserer Undercovermission. Das Bedürfnis ihn zu beschützen war genauso groß wie damals, Connor wirkte oft viel jünger ala sein Programm ihn wohl hätte erscheinen lassen sollen, doch jetzt, nachdem er ein Abweichler geworden war, war das noch viel extremer. Der Android war nun einem Menschen zum Verwechseln ähnlich geworden, aber auch davor hatte ich ihn nach kurzer Zeit schon nicht so ganz nur als Maschine sehen können. Entweder lag das daran, dass ich zuvor selten mit Androiden zu tun gehabt hatte, oder daran, dass Connor schon von anfang an dafür "bestimmt" gewesen war zum Abweichler zu werden. Ich rieb dem Androiden in meinen Armen mit einer Hand über den Rücken und ließ die andere automatisch zu seinem Haaransatz hochgleiten, um dort leicht mit den weichen Strähnen zu spielen.

Jede von Hanks Bewegungen konnte ich wahrnehmen. Seine Arme an meinem Rücken. Seine breite Schulter in der mein Gesicht gerade ruhte. Es war für mich vollkommen anders als die Umarmung bei unserer Mission. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle gehabt. Und gleichzeitig hatte meine Programmierung die gesamte Kontrolle über mich gehabt. Als könnte ich nun zum ersten Mal Dinge wirklich wahrnehmen. Als hätte mich diese rote Mauer aus meiner Programmierung davon abgehalten die Wahrheit zu sehen. Zu empfinden. Die Situation flößte mir noch immer Angst ein. Doch die Wahrheit schien die Angst wert zu sein. Ein Abtausch von Sicherheit gegen Realität.
Da ich jede Bewegung bemerkte – bemerkte ich auch die von Hanks Hand. Sie wanderte über meinen Rücken in meinen Haaransatz. Ein leises Seufzen war zu hören. Es dauerte kurz bevor ich registrierte das das Geräusch von mir gekommen war. So etwas war mir noch nie passiert. Normalerweise bestimmte meine Programmierung über alles was ich sagte oder tat. Selbst bei überraschenden Umständen war ich meist still geblieben. Ein anderes neues Gefühl machte sich in mir breit. Auch wenn man es nicht sehen konnte, stieg Thirium in meine Wangen. Verlegenheit. Das war es was ich spürte. Und wahrscheinlich auch der Grund für die blauen Wangen. Diese hatte ich allerdings bereits vor meinem Status als Abweichler bekommen. Eigenartig.

Ich hielt kurz überrascht inne, ob des Seufzens, das Connor hören ließ, doch lächelte dann und fuhr mit meinen Bewegungen fort. Conmor schien das zu mögen, verständlich, viele mochten es doch, wenn man mit ihren Haaren spielte und wer war ich dem Androiden diese Erfahrung zu wiedersagen? Ich lehnte meine Schläfe leicht an Connors Kopf und sah, ohne wirklich etwas zu sehen, gerade aus, gegen die Wand, meine ganze Konzentration lag gerade bei Connor.

Für diesen Fall hatte ich nun wirklich keinerlei Vergleichsmaterial. Aber wider meiner Verlegenheit verspürte ich ein sehr angenehmes Gefühl. Entspannung. Die Finger in meinen Haaren. Das angenehme Gefühl der körperlichen Nähe. Körperliche Nähe die ich so noch nie gekannt hatte. Hanks Kopf lehnte sachte an meinem. Ich spürte wie mein überfordertes System dem Gefühl der Entspannung Platz zu machen schien. Es war als ob das gegen die Angst und auch den Wissensdrang steuern würde.
Meine Augen schlossen sich wie von selbst. Generell hatte ich bemerkt das nun viele Tätigkeiten wie von selbst ausgeführt wurden. Mein Körper steuerte sich zugleich mehr und weniger selbst. Menschen hatten diese Zwiespältigkeit wohl schon seit der Geburt. Doch je mehr ich versuchte darüber zu recherchieren desto mehr arbeitete meine Entspannung gegen mich. Ich konnte mich auch später informieren. Jetzt war ich hier. Bei Hank.

Ich konnte förmlich spüren wie Connor sich entspannte und mehr an mich lehnte. es war lange her, seit ich jemanden so lange in meinen Armen gehalten hatte, es tat wirklich gut, zudem war das Gefühl jemandem zu helfen ein angenehmes, besonders weil es sich bei dieser Person um Connor handelte. Ich merkte auch bei mir selbst, wie ich mich mehr entspannte. Connor mochte immer noch ein Android sein und ich war nach wie vor nicht gut Freund mit ihnen, doch er war nun zu menschlichen Gefühlen fähig, sogar bewusst, und das beruhigte mich sehr. Vermutlich dauerte die Umarmung nun sehr viel länger als sie das zwischen zwei Freunden tun sollte, doch keinen von uns schien es zu stören und solange es Connor beruhigte hatte ich wohl auch Ausrede genug ihn weiter in meinen Armen zu halten, wobei ich es vermied über den Grund dafür nachzudenken.