Red Riding Hood saß vor dem Fenster, ich war so neben der Spur gewesen, dass ich am Anfang gar nicht bemerkt hatte, dass er bereits hier war. Er saß am Boden vor dem Fenster. Seine Stimme war leise, was vollkommen verständlich war, denn ich hatte bereits gelesen, was passiert war. Schwere Rückschläge für Mission COURAGE, es traf mich sehr. Andererseits war es klar gewesen, dass die RESISTANCE noch zurück schlagen würde. Und nun schlugen sie wirklich zurück.
"Hey. Freut mich, dich gesund wieder zu sehen", antwortete ich und lächelte schwach, "Ich bin gespannt, was du gefunden hast. Und... Falls du jemanden zum Reden brauchst... Ich höre auch gern zu, wenn es nicht um das geht, was ich suche." Das wollte ich nur gesagt haben, immerhin war mir nicht entgangen, wie sein Grinsen erheblich missglückte. Es war eine schwere Zeit für uns. Damit trat ich auf ihn zu, versuchte, möglichst locker zu wirken, war aber immer noch angespannt, weshalb das nicht klappte.

Etwas besorgt beobachtete ich Red Riding Hood. Die letzten Geschehnisse waren schwere Schläge für Mission COURAGE gewesen, für Snowwhite, für uns alle. Er wirkte müde, und ich machte mir ein wenig Sorgen darum. Die Mission COURAGE hatte zu alledem noch kein Statement abgegeben, aber momentan... es war auch wichtig, dass es ihm besser ging und er sah gerade auch nicht so aus, als wäre alles in ordnung. "Ich habe vor, noch nach ihr zu sehen", antwortete ich aufrichtig. Als er dann davon sprach, dass es sich falsch anfühle, ohne Silverhead hier zu sein, senkte ich den Blick, nickte aber langsam. "Ich kann es verstehen. Zwar... auf eine völlig andere Weise, aber ich weiß genau, was du meinst", gab ich ehrlich zu. Damals war es bei mir völlig anders gewesen, aber selbst nach Jahren fühlte es sich noch völlig falsch und surreal an, ohne Powder durchs Leben zu gehen. Leicht ballte ich meine Hände zu Fäusten und presste die Zähne aufeinander.
Sofort schüttelte ich den Kopf, als er sich entschuldigte. "Du kannst mich zutexten, solange du möchtest, das wäre absolut kein Problem", gab ich zurück. Natürlich wollte ich jetzt unbedingt wissen, was er jetzt heraus gefunden hatte, allerdings wäre ich auch nicht böse gewesen, wenn wir jetzt noch zwei drei Minuten vorher über etwas anderes gesprochen hätten. Meine Mundwinkel zogen sich für einen winzigen Moment nach oben, jedoch blieb ich ansonsten ernst. "Powder", kam es dann sogleich von mir, ehe ich schnell noch ein "Bitte" dran hängte. Während ein Teil von mir Angst davor hatte, was er heraus gefunden hatte, wollte ein anderer Teil von mir das unbedingt wissen. Ich musste beide um jeden Preis finden.

Da hatte er absolut recht, es war schwer, jemanden zu verlieren, und noch schwerer, wenn jemand einfach verschwand, ohne dass man heraus bekommen konnte, ob derjenige noch lebte. Damit konnte man dann nie abschließen. Am Anfang hatte man Hoffnung, welche irgendwann der Hoffnungslosigkeit weichen würde und dann würde es einen für den Rest seines Lebens begleiten. Jeden Tag würde man sich wünschen, derjenige wäre hier, und irgendwo in sich würde man irgendwann glauben, man wäre schuld an dem Verschwinden der geliebten Person. Zumindest war es mir so gegangen, als Powder verschwunden war, und es hätte mir beinahe die Seele zerrissen. "Sehe ich auch so", erwiderte ich aufrichtig und lächelte ihn einen Moment an, nickte ihm noch einmal zu, ich hatte es verstanden.
Danach jedoch kamen wir wieder auf das eigentliche Thema zurück, weswegen wir beide überhaupt hier waren. Aufmerksam sah ich ihn an und folgte ihm zum Besprechungstisch. Neugierig beäugte icih die Akte, die er bei sich hatte, und hörte ihm aufmerksam zu. Vielleicht lebte Powder ein gutes Leben, das hatte ich zumindest die ganze Zeit gehofft. Doch offensichtlich hatte ich leider falsch gehofft, denn die Informationen, die Red Riding Hood für mich hatte, waren schockierend. Vorsichtig, schon fast voller Angst, trat ich an die Akte heran, um sie zu betrachten, und ich konnte trotz der vielen Veränderungen in Jinx Gesicht meine kleine Powder wieder erkennen. Tränen traten mir in die Augen, die ich natürlich nicht raus ließ. "Verdammt!", brüllte ich und hieb mit der Faust auf den Tisch, in meinem emotionalen Sturm verstärkte ich ungewollt meine Kraft in dem Schlag ein wenig, was dazu führte, dass es laut krachte, und der Tisch splitterte. Sofort zog ich meine Faust zurück. "Entschuldige...", murmelte ich. Normalerweise hatte ich mich gut unter Kontrolle - aber das, was meiner Schwester passiert war, dass sie nun zur RESISTANCE gehörte, war meine Schuld.

Schnaubend atmete ich durch, während ich darum rang, mich wieder in den Griff zu bekommen. Der Tisch aus Glas war ganz schön gesplittert und ich konnte den Schmerz in meiner Faust eindeutig spüren. Das Bild von meiner geliebten Schwester vor meinen Augen war genauso gesplittert wie dieser Glastisch. Alles meine Schuld. Erst Red Riding Hoods Stimme brachte mich wieder in die Realität zurück und ich brauchte erst, bis ich reagieren oder antworten konnte. "Alles okay", antwortete ich leise, ehe ich dann, ein wenig überrascht von diesem Befehl, meine Hand herzeigte, mit der ich eben den Tisch zerschlagen hatte. Einige Schnitte hoben sich deutlich rot durch das Blut von meiner Hand ab, ein kleiner Glassplitter steckte ebenso drin, bei dem Rest hatte ich mehr Glück gehabt.
Allerdings tat es mir leid, dass er sich schlecht fühlte, dass er keine besseren Nachrichten hatte, und ich senkte den Blick, kämpfte immer noch gegen meine Tränen an. "Bitte fühl dich nicht schuldig dafür, du musst dich dafür nicht entschuldigen. Nicht für etwas, das im Grunde meine Schuld ist", antwortete ich dann erneut leise und hielt den Blick gesenkt. Während ich mich in diesem Moment entschied, ihm zu offenbaren, warum ich nach ihr gesucht hatte, schaffte ich es nicht, ihm in die Augen zu sehen. "Es ist meine Schuld, dass meine Schwester dort gelandet ist", wiederholte ich und ließ damit die Bombe platzen. Wenn ich damals mehr für sie da gewesen wäre...

Langsam nickte ich, als er mir sagte, ich solle einen Moment warten, und das tat ich dann auch. Er trat zum Erste-Hilfe-Kasten, dass erst einmal die Glassplitter aus meiner Hand raus mussten. Es tat mir leid, aber nicht, um den Tisch, sondern eher darum, dass ich so reagiert hatte. Normalerweise war ich besser darin, mich im Griff zu haben, jedenfalls gegenüber meinen Freunden. Ich musste mich besser im Griff haben, es war nicht richtig, so die Kontrolle zu verlieren.
Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ ich ihn an meiner Hand herum doktoren und die Glassplitter raus ziehen. Schmerz hatte ich während meiner Gefangenschaft bei der RESISTANCE oft genug gespürt und war diesem oft genug ausgesetzt gewesen. Während er dann allerdings nachfragte, warum es meine Schuld sein sollte, hielt ich den Blick gesenkt und sah ihn weiter nicht an. "Als sie mich am dringendsten gebraucht hätte, war ich nicht für sie da. Wäre ich für sie da gewesen, wäre sie immer noch die Powder, die ich kenne. Ich hätte für sie da sein müssen", antwortete ich leise. Damals hätte ich eben aufpassen müssen, nicht bei der RESISTANCE in Gefangenschaft zu geraten... vielleicht hätte ich sie dann beschützen können.

Jedes Mal aufs Neue bewunderte ich Red Riding Hood für seine Fähigkeiten. Das Heilen war einfach bewundernswert. Davon abgesehen hatte er aus meiner Sicht sogar die Fähigkeit, den Menschen Hoffnung zu geben. Er hörte anderen zu und war immer für einen da. Im Gegensatz zu mir. Immer wieder schaffte ich es, anderen weh zu tun, sogar meine eigene Schwester hatte ich in die Arme der RESISTANCE getrieben. Als er mich vor warnte, nickte ich und starrte abwesend auf unsere Hände, während er etwas murmelte, das ich nicht so ganz mitbekam. Selbst wie er seine Hand ausschüttelte, entging mir, erdt als er mich ansprach, fand ich wieder in die Realität zurück.
Im ersten Moment blinzelte ich. Ohne erstmal zu antworten, blieb ich die ersten Sekunden still. "Powder war ein liebes Kind. Sie war sanftmütig. Nett. Wollte immer nur helfen. Sie hätte gut hierher gepasst. Ich wollte sie so sehr beschützen, dass am Ende wohl ich es war, die sie verdorben hat", begann ich, ohne ihn noch einmal anzusehen, "die Sprengsätze, die sie später zu bauen begann, funktionierten aber nie, wie sie sollten. Sie machte oft Fehler, aber das war mir egal. Doch während Vater auf Mission war, ging einer ihrer Erfindungen im Haus hoch. Die Kraft war so gewaltig, dass es das Haus zum Einsturz brachte. Gerade so konnte ich sie und mich retten. Mutter verstarb unter den Trümmern." Tief atmete ich durch. Noch nie hatte ich darüber gesprochen, und jetzt fiel es mir schwer. " Ich habe sie geschlagen... Und angeschrien... Ich habe sie ein Jinx genannt, weil sie alles falsch gemacht hat. Danach hab ich sie allein gelassen. Eigentlich tat es mir leid. Ich wollte zurück, mich entschuldigen, aber... Ich hab das Bewusstsein verloren. Als ich im Krankenhaus wieder zu mir kam, erreichte mich die Nachricht, dass diese Penner von der RESISTANCE sie geschnappt haben... "

Lange Zeit hatte ich Angst gehabt, dass dieser Teil meiner Geschichte das veränderte, was die anderen über mich dachten, oder dass sie mich dann für unqualifiziert halten würden. Was war denn schon ein Held, der nicht einmal seine eigene Schwester retten konnte? Ich war eine schlechte Heldin und ich wusste, mein Vater würde sich für mich schämen.
Als er mir dann antwortete, wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Ich öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Er hatte gerade auch etwas sehr Privates mit mir geteilt und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich dadurch wirklich verstehen konnte. Er legte seine Hand auf meine Schulter, es war eine tröstende Geste, die gut funktionierte. "Ich weiß, dass es nicht richtig war. Ich würde die Zeit zurück drehen, wenn ich es könnte, nur um diesen Fehler rückgängig zu machen", antwortete ich ehrlich, ehe ich schwer seufzte, "Das erleichtert mich, um ehrlich zu sein, hab ich erwartet, dass ihr mich für unfähig haltet. Ich meine, ich will eine Heldin sein, aber kann nicht einmal meine eigene Schwester retten..." Kurz nachdem ich zu Ende geredet hatte, stieß ich ein bitteres Lachen aus.