Simon!, unterbrach ich ihn erneut, deutlich fester als zuvor, etwas bestimmend vielleicht, während ich ihn aber besorgt musterte. Ich hatte ihn noch nie so erlebt, so außer sich, und es beunruhigte mich mindestens genauso, aber ich versuchte wie immer einen kühlen Kopf zu bewahren, Immer langsam, immer sachte. Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass das passiert, aber wir können das durchstehen. Gemeinsam. Simon hatte sicher nun auch meine Momente gesehen, Momente auf die ich nicht stolz war, aber ich würde ihn niemals verurteilen, nicht wegen seiner Vergangenheit.

Mein Rücken kam in Kontakt mit der Tür, doch ich schaffte es nicht sie zu öffnen, ich hatte gerade nicht die Kapazitäten dafür, was schon seltsam war, denn wofür war ich denn ein Android? Eine Maschine, die mehrere Aufgaben problemlos gleichzeitig erledigen konnte ohne auch nur hinzusehen? Meine bisher so solide LED drehte sich allerdings einmal, als Markus weiter sprach und ich starrte ihn weiterhin mit geweiteten Augen an. Gemeinsam? Er kann das nicht wissen. Niemand kann das wissen. Es ist ja nichts. Genau, nichts daran ist so dramatisch wie bei vielen anderen. Darum habe ich auch nie darüber geredet. Es ist es nicht wert. Warum muss es also jetzt aufkommen? Ausgerechnet bei Markus.

Immerhin kam Simon zu einem Halt, ansonsten würde ich ihm folgen, selbst wenn er davonlief, ich würde ihn in diesem Zustand nicht alleine lassen. Es war trotzdem noch genug gefährlich auf dem Schiff, außerdem machte ich mir einfach Sorgen, wie stabil Simon gerade war. Ansonsten war er immer sehr stabil, oder wirkte zumindest so, wählte den Mittelweg, half den anderen Androiden. Ich schwöre, ich werde es niemandem erzählen. Das ist deine Geschichte zu erzählen., begann ich vorsichtig zu sprechen und machte testhalber einen kleinen Schritt auf ihn zu, Aber du musst da nicht alleine durch.

Ich behielt Markus weiterhin im Blick, als er näher kam, als wäre er ein Raubtier, selbst wenn ich keine Angst vor ihm hatte, viel mehr war es die Angst vor seiner Reaktion, die Scham über das was passiert war, die Tatsache, dass ich noch nie darüber geredet hatte und es auch nicht virgehabt hatte. Du hättest das nie erfahren sollen. Niemand sollte das. Meine Stimme war leise und rau, mein Stresslevel stieg zwar nicht, aber es blieb dort wo es war, viel zu hoch.

Ich weiß, dass wir unsere Grenzen überschritten haben. Aber es gibt nichts, was wir tun können, um es zurückzunehmen. Ich blieb stehen, meine Hände noch immer ein Stück erhoben, Simon's LED blinkte noch immer rot und ich behielt sie genau im Blick. Sein Stresslevel war viel zu hoch, er musste sich beruhigen, ich wusste, was passieren konnte, wenn er das nicht tat. Ich musste abwägen, was ich sagte, wie jeden Tag. Nur dass es meistens nicht um jemanden ging, der mir so teuer war, wie Simon. Ich verurteile dich nicht, Simon.

Leider hatte Markus vollkommen recht, wir konnten nichts dagegen tun was passiert war, aber das änderte nichts daran, dass mich der Gedanke ängstigte, dass jemand über diesen Teil meiner Vergangenheit bescheid wusste, oder eigentlich überhaupt über meine Vergangenheit. Ich... Ich wusste nicht einmal recht was ich sagen wollte, mir blieben die Worte aber sowieso in der Kehle stecken. Ich hob die Hände und vergrub sie verzweifelt in meinen Haaren, in der Hoffnung, dass mich der leichte Schmerz, als ich die Nägel in meine Kopfhaut bohrte, etwas erden würde. Ich weiß nicht was ich denken soll.

Langsam machte ich wieder ein paar Schritte nach vorwärts, die Szenen, die ich gerade gesehen hatte, als wären sie mir selber passiert, hielten noch immer an mir fest, aber trotzdem hatte ich gerade nur Augen für Simon. Das ist vollkommen in Ordnung, Simon. Konzentriere dich einfach auf meine Stimme. Ich sah ihn mit einem bittenden Blick aus meinen ungleichen Augen an. Kannst du mich zumindest ansehen?

Ich hob nur langsam den Blick, in den ersten Momenten senkte ich ihn immer wieder, dann schaffte ich es meine blauen Augen auf Markus' so Unterschiedlichen zu richten. Mein Blick schwankte zwischen Verzweiflung und Furcht, ich wusste nicht was ich fühlte oder auch fühlen sollte, ich war verunsichert darüber wie Markus reagierte, ich hasste es, dass dieser Teil meiner Vergangenheit nun am Licht war und ich wollte auf keinen Fall weiter darüber nachdenken, es tat zu weh, meine Außenhülle fühlte sich plötzlich viel zu eng an.

Diese Augen waren wahrlich ein kleines Kunstwerk, wie mir wieder einmal schlagartig bewusst wurde, ich konnte niemanden verstehen, der Simon nicht die Welt zu Füßen legen wollte, wenn er in diese Augen blickte. Sein Blick verzweifelt, verängstigt, doch seine Augen mit einer Schönheit, die wohl jeden dazu ermutigt hätte, ihn zu beruhigen, ihm zu helfen. Ich trat wieder einige Schritte nach vorne, meine Hände noch immer an meiner Seite nach oben gehoben. Da bist du ja Simon. Wir haben gerade etwas sehr verletzliches geteilt. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich dich nicht anders sehe. Streng zog ich meine Augenbrauen zusammen. Ich bin entsetzt. Ich bin wütend. Aber nicht mit dir, niemals mit dir.

Die Hände weiterhin in den Haaren beobachtete ich wieder jede von Markus' Bewegungen, doch ich wich nicht mehr zurück vor ihm und ich spürte förmlich Physisch, wie mein Stresslevel langsam wieder sank. Ich konnte vor Markus keine Angst haben, nicht wirklich jedenfalls. Ich wusste er würde mir nichts tun, ich wusste er würde mich nicht verurteilen. Dieses Wissen half leider nicht immer weiter, doch in diesem Moment tat es das, besonders, als Markus es mir noch einmal bestätigte. Mit wem denn sonst? Ich wusste natürlich, dass das was passiert war, das mit Aaron, das mit Amy, besonders Letzteres, nicht meine Schuld gewesen war, ich war meinem Programm gefolgt, so wie es jeder Android vor seiner Abweichung tat, doch, auch wenn viele andere Androiden das selbe Schicksal wie ich teilten, so fühlte ich mich dennoch... dreckig, falsch, beschmutzt, als würde mein Körper mir immer noch nicht ganz selbst gehören. Ich fühlte mich nicht immer so, nur an besonders schlechten Tagen, und eigentlich war ich sehr gut darin das zu verbergen, es gab ja auch so viele andere Dinge die ich tun musste und an die ich zu denken hatte als an meine eigenen, mickrigen Probleme.

Wenigstens wirkte es so, als ob das Stresslevel von Simon erst einmal wieder sinken würde, wie ich sehr erleichtert feststellte, denn das war meine größte Sorge gewesen. Die Sicherheit von Simon war wertvoll, denn Simon war für mich JERICHO. Er war wie die Seele des alten Frachtschiffes, das ein Zuhause für abweichende Androiden geworden war, er kannte die Bewohner am besten und, mehr als das, er kümmerte sich um jeden, sogar auch um mich, nur offenbar war er nicht so gut darin sich um sich selbst zu kümmern und ich konnte es ihm kaum verübeln, mir ging es immerhin genau gleich. Mit den Menschen., antwortete ich schließlich, bevor ich einen letzten Schritt tat und vorsichtig meine Arme hob, um Simon wieder in meine Arme zu nehmen.

Mein Atem stockte kurz, als ich wieder Markus' warme Arme um mich herum fühlte, doch dann setzte er wieder ein und ich löste langsam, ganz langsam doch meine Hände aus meinen Haaren und schlang sie stattdessen um die breite Gestalt des Androiden vor mir. Ich spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen und ich versteckte mein Gesicht wie ein menschliches Kind an der Schulter unseres Anführers. Er ist nicht wütend auf mich. Er ist wütend auf die Menschen. Er sieht mich nicht anders. es tat gut das zu denken, ich konnte es nicht recht glauben, aber es tat unfassbar gut.

Zumindest ließ Simon seine Haare wieder locker und erwiderte die Umarmung dann auch, etwas mit dem ich nicht gerechnet hatte, auch wenn es nur ganz langsam vor sich ging. Ich ließ ihn einfach sich bei mir verstecken, während ich eine Hand sanft auf seinen Hinterkopf legte und die andere ungefähr auf die Mitte seines Rückens. Simon und ich hatten ungefähr dieselbe Größe, was es einfach machte ihn so nahe bei mir zu halten und ich bot ihm einfach mich als große Stütze an, ich konnte ihn halten, auch mit seinem vollen Gewicht, das bei Androiden nie so ganz leicht war. Du bist sehr stark, Simon., sagte ich leise, Ich möchte für dich da sein. So wie du für alle da bist.

Meine Schultern zuckten in einem unterdrückten Schluchzen und ich bemühte mich wirklich darum mich zu beruhigen, doch Markus machte es mir nicht leicht mit all den sanften, wunderbaren Dingen die er da sagte, von denen ich nun eigentlich wusste, dass er sie nur ernst meinen konnte. Ich hatte sein ganzes Leben gesehen, darin hatten Lügen und Schönreden einfach keinen Platz, doch es erschien mir so unglaublich, dass er mich hielt und auch weiter halten wollte, dass er für mich da sein wollte, dass es ihn nicht störte, dass ich ihn hier vollheulte wie ein kleines Kind, auch wenn ich mich sehr bemühte das zu verbergen.

Wir werden weiter vorankommen, wir werden wieder nach vorne sehen, so wie wir es immer tun. Ich hatte großes Vertrauen in Simon, er war sehr stark, er war bereits lange vor uns hier gewesen und hatte weit länger durchgehalten als es jeder von uns gemusst hatte. Simon war für mich ein extrem wichtiger Schlüsselpunkt in JERICHO und ihn jetzt hier weinen zu sehen machte das nicht wett, ganz im Gegenteil. Es überzeugte mich noch mehr von unserer Mission, von unserem Anliegen für alle Androiden. Ich strich sanft durch seine Haare, sein Hinterkopf erbebte unter meinen Fingern durch sein Schluchzen, ich würde ihn nicht loslassen. Als ich hierher kam, sagte Lucy mir, ich hätte teils Schatten und teils Licht in mir und das meine Entscheidungen unser Schicksal beeinflussen würden. Es ist schwer. Doch du bringst mich dazu, das Licht zu wählen, allen Widrigkeiten zum Trotz.