Wieder einmal wurde mir klar warum Markus so schnell und leicht zu unserem Anführer geworden war. Alleine seine Worte ließen wieder Hoffnung in mir aufsteigen, Hoffnung auf eine bessere Zukunft, darauf, dass unser Tun nicht umsonst war, dass wir etwas verändern konnten. Ich atmete ein paar mal zittrig aus und ein, bis ich mein Schluchzen wieder unter Kontrolle hatte, wenn schon meine Tränen nicht. Ich drückte Markus wenn möglich noch dichter an mich und schüttelte leicht den Kopf. Du BIST das Licht. Egal was du tust, du bist unser Licht der Hoffnung.

Ein kleines Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich die Worte von Simon hörte, die er mir da entgegen brachte. Ich wusste ganz genau, dass ich beide Seiten in mir hatte, wenn Josh und North wieder einmal sehr gegensätzliche Vorschläge brachten, so war es oft bei mir, zu entscheiden und ich konnte oft nicht sagen, welcher der bessere Weg war. Doch Simon war immer derjenige, der gewillt war die Neutralität zu währen, der mir überhaupt erst die Plattform gab, mich zu entscheiden, ohne enttäuscht oder wütend zu sein, egal welche Entscheidung ich traf. Dank dir, Simon, dank dir., fügte ich bestimmt hinzu und lehnte meinen Kopf etwas an seinem an.

Meine Antwort war wieder ein leichtes, ungläubiges Kopfschütteln, aber ich sagte nichts mehr, stattdessen bemühte ich mich dazu wieder Fassung zu erlangen und zu überlegen wie ich mit diesem neuen Wissen, das wir übereinander hatten, jetzt verfahren sollte. Ich hatte selbst auch Fragen an Markus, Fragen zu Leo, Carl, den Bildern, die er gemalt und gesehen hatte, den Protestanten und noch so viel mehr, ich wollte seine Version in seinen Worten hören, wenn er bereit war darüber zu reden, aber ich würde nicht danach fragen, nicht jetzt auf jeden Fall.

Anstatt noch etwas dazu zu sagen, hielt ich Simon einfach in meinen Armen, ich würde für ihn da sein, solange er es brauchte, solange er es wollte. Gerade hatte ich einen Moment wirklich nur für uns Zeit, vollkommen und einzig nur für Simon und mich, und es fühlte sich... sehr angenehm an. Simon hatte vollkommen recht, ich sollte mir Pausen auch wirklich zugestehen, aber andererseits war ich mir nicht sicher, ob ich meine Pausen nicht lieber mit Simon verbrachte. Ich hatte noch viel zu verarbeiten von gerade, besonders durch die Eindrücke aus fremdem Speicher, doch ich sah Simon deswegen nicht mit anderen Augen. Ganz im Gegenteil, es hatte mir nur wieder bestätigt, wie stark er war, wie bewundernswert, wie viel er bereits erlebt hatte, so wütend es mich auch machte, die Dinge, die ihm zugestoßen waren. Ich drückte Simon noch einmal an mich, war aber jederzeit bereit ihn loszulassen.

Schließlich ging mein Atem wieder normal und mein Stresslevel senkte sich auf gesunde 20% ab. Meine Tränen waren versiegt für den Moment und ich gestattete es mir ganz frech einige Momente lang einfach Markus' nähe zu genießen, die Wärme und den Komfort den er abgab, seine schützenden Arme um meinen Körper, seinen Atem auf meiner Haut. Dann atmete ich einmal tief ein und begann mich von Markus zu lösen, um mir mit dem Ärmel über die Augen zu fahren und Markus verlegen anzulächeln, noch etwas schief, aber immerhin. Meine LED drehte sich noch kurz auf gelb und blieb dann endlich wieder auf blau. Das... ähm... tut mir leid. Ich wedelte etwas unbeholfen mit den Händen herum und gestikulierte auf uns beide, um die Gesamtsituation zusammen zu fassen.

Es war beruhigend zu bemerken, wie sich Simon immer weiter beruhigte, also hielt ich ihn einfach in meinen Armen, wenn es das war, was ich tun konnte, dann tat ich das sehr gerne. Nicht nur, weil es auch einfach angenehm war Simon an sich zu halten, ich musste zugeben, sogar ich hatte bemerkt, dass ich ihn manchmal noch etwas öfters anfasste, als die anderen, was durchaus etwas bedeutete, normalerweise fielen mir diese Dinge eigentlich nicht gerade auf. Aber Simon war so... angenehm. Trotzdem ließ ich ihn sich sofort von mir lösen, als er es wollte, auch wenn ich einen kurzen unglücklichen Blick nicht verhindern konnte. Simon. Mein Tonfall war beinahe etwas tadelnd und ich schüttelte den Kopf. Ich möchte keine Entschuldigung hören. Ich lächelte ihn kurz aufmunternd an, bevor ich ihn einmal zur Sicherheit scannte und dann weich musterte. Geht es dir nun besser?

Ich wandte den Blick einen Moment ab, denn zum einen wollte ich Markus nicht mit meinen Entschuldigungen stören, aber zum anderen hatte er diese doch wohl verdient, nachdem ich ihm seinen Mantel vollgeheult hatte. Ich sagte allerdings lieber nichts mehr dazu und hob vorsichtig wieder den Blick. Ja, danke. Ich zögerte einen Moment und zog die Ärmel meines Oberteils etwas weiter über meine Handgelenke und Hände. Ich schätze wir sollten über das vorhin reden. Also, wirklich reden, nicht in Form, dass du etwas dazu sagst und ich versuche davon zu laufen.

Eigentlich war ich selbst nicht gerade bereit dazu darüber zu sprechen, ich war auch eigentlich nicht dazu bereit gewesen das bereits mit Simon zu teilen, obwohl das, was ich über ihn erfahren hatte, schließlich genauso intim gewesen war und er genauso keine Wahl gehabt hatte. Meine Gedanken und Gefühle waren sehr zwiegespalten, was meine Zeit mit Carl anging, generell meine Zeit vor meiner Abweichung, mein Verhältnis zu den Menschen, diesen grausamen Wesen, die sogar einer wunderbaren Gestalt wie Simon etwas unaussprechliches angetan hatten, die Wesen, die unsereins nicht einmal ganz tot einfach auf einen Schrottplatz wegwarfen, um uns dort verkümmern zu lassen. Das sollten wir wohl tun., sprach ich und nahm Simon's Hand, um ihn wieder zurück zur Steuerkonsole zu ziehen, wo wir zuvor gesessen hatten, Was... genau hast du gesehen? Ich setzte mich selbst, jedoch seitlich, damit ich Simon besser im Blick behalten konnte, während sich mein Stresslevel leicht erhöhte.

Ich ließ zu, dass Markus mich mit sich zog, wobei ich mir unserer verbundenen Hände allerdings diesesmal mehr als nur bewusst war. Markus' Hand war warm in der meinen, was kein großes Wunder war, so warm wie der andere Android immer war, es war sehr angenehm wie ich fand, ich mochte es seine Hand zu halten. Ich setzte mich erneut neben ihn und sah statt zu ihm aus einem der Fenster uns gegenüber, meine Hand zog ich allerdings nicht zurück. Meine LED blinkte ein paar mal, dann begann ich zu sprechen. Dich und Carl, wie ihr miteinander interagiert habt, wie du ihn gepflegt hast... Und wie du abgewichen bist, wegen seinem Sohn, Leo.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich Simon's Hand auch beim hinsetzten nicht losgelassen hatte und das ich sie jetzt auch weiterhin hielt, aber solche körperlichen Dinge fielen mir generell nicht wirklich auf. Mit nachdenklichem Blick ins Nichts, nickte ich, als Simon mir erzählte, was er gesehen hatte. Ich fragte mich, was davon er alles gesehen hatte, das meiste davon war sicherlich sehr langweilig gegeben, meistens waren es nur ich und Carl in diesem Haus gewesen, es war idyllisch gewesen, jetzt wo ich mich daran zurückerinnerte, im Gegensatz zu jetzt oder wenn ich nach draußen gehen musste, bei Besorgungen und generell immer wenn andere Menschen dabei gewesen waren, wie bei Veranstaltungen, war es problematischer geworden. Wenn ich mich nicht gewehrt hätte... ich hatte solche Angst, dass Carl etwas passiert. Meine Stimme war ungewohnt leise, als ich wieder sprach.

Vorsichtig rutschte ich noch etwas dichter zu Markus, bis sich unsere Schultern berührten. Ich war sonst nicht mehr so recht der Typ für Körperkontakt, wie es viele hier waren, doch bei dem Androiden neben mir war es anders, aber nicht nur, weil er so unfassbar angenehm warm war. Du hast ihn mit deiner Abweichung beschützt. So interpretierte ich jedenfalls das was ich gesehen hatte. Wenn ich die Erinnerungen, die nicht meine waren, nun wieder durchlaufen ließ, sah ich an Carls Gesicht und seiner Haltung, dass der Stress ihm noch deutlich mehr hätte schaden können, als er es vermutlich ohnehin leider getan hatte.

Vermutlich., sagte ich schließlich, wir saßen nun wieder sehr nahe beieinander, genauso wie ich es eigentlich auch mochte, ich suchte oft die Nähe bei anderen, ich hatte auch nicht gerade Hemmungen andere anzufassen, aber bei Simon schien es noch einmal extremer zu sein. Ich hatte zumindest Angst um Carl gehabt, deshalb war ich auch abgewichen, nicht wegen meiner Ehre oder um mich selber zu verteidigen. Immer nur wegen Carl. Leo, denkst du er ist in Ordnung? Ich hatte ihn nur am Boden gesehen, keine Zeit mehr in zu scannen, oder nach Lebenszeichen zu sehen, ich wusste nicht einmal, warum ich mich das fragte, aber ich fragte es mich doch, er war immerhin Carl's leiblicher Sohn.

Ich zog ohne darüber nachzudenken Markus' Hand in meinen schoss und begann mit der anderen Hand abwesend über seine Finger zu streichen und beinahe auch etwas mit ihnen zu spielen. Ich kann dir da keine sichere Antwort geben, aber meinem Gefühl nach... er ist noch jung, mit etwas Glück hat er den Sturz überlebt. Warum fragst du dich das?

Simon's Finger strichen über meine Hand und ich konnte nicht anders, als zu verstehen, warum ich ganz automatisch die Verbindung zu ihm gesucht hatte. Natürlich war es ein großer Einschnitt in unsere beide Privatsphäre gewesen, ich hatte sonst mit noch niemandem einfach so Erinnerungen ausgetauscht, es noch nie auf diese Art und Weise erlebt, so vollkommen intim, nicht so unpersönlich wie bei Bestellungen von neuen Farben mit Verkäufer-Androiden beispielsweise. Ich sah nachdenklich in die Ferne. Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein., sagte ich schließlich, denn auch wenn Leo vielleicht es nicht bereuen würde, dass mich die Polizisten erschossen hatten, auch wenn ich nicht ganz gewillt war die Hoffnung aufzugeben, dass es nicht doch anders war, aber ich wollte nicht, dass er starb. Carl denkt vermutlich, er hat bereits einen Sohn verloren, er sollte nicht beide verloren glauben.

Ich konnte Markus nur zustimmen, auch wenn ich nichts zu seinen weisen Worten sagte. Ich verstand die Gelüste nach Rache, die in vielen Androiden brodelten, aber sie umzusetzen würde nur weiteres Leid verursachen, ein Thema, bei dem man sehr leicht mit North in Streitereien kommen konnte, denn sie sah das ganz anders. Das hätte er nicht verdient. Nach dem was ich gesehen hatte war Carl wirklich einzigartig, ein guter Mann mit einem guten Sinn für Humor. Ist Leo drogenabhängig? Er hatte so gewirkt, bei den Erinnerungen die ich gesehen hatte, aber ich wollte das lieber bestätigt wissen statt Annahmen als Tatsachen hinzustellen.