Ich wusste genau, dass meine Geschichte vollkommen unglaublich klang, aber ich erzählte nichts anderes als die Wahrheit. Beide betrachteten mich nachdenklich, während ich auf Markus Schluss hin nickte. "Richtig. Es war ein langer, schmerzhafter Weg. Ich begann, einen mechanischen Körper zu konstruieren, während ich meinen Vater bat, sich nach den Bauteilen umzusehen. Wir hatten kein Geld, um welche zu kaufen, also suchte er in den dunkelsten Gassen und hintersten Ecken nach Teilen, die keiner brauchen würde. Ich wusste, dass er niemals lebende Androiden ausschlachten würde", gab ich dann zurück, "Wir begannen, Stück für Stück meinen Körper zu ersetzen. Es war ein langer, unangenehmer Prozess und ein Wunder, dass es gelang. Doch kurz darauf starben meine Eltern, und ab da stand ich alleine da. Ein Abweichler, der nie von CyberLife produziert wurde, und nicht auffallen durfte."
Tief atmete ich durch und versuchte mich an einem Schwächen Lächeln. "Ich weiß, wie unglaublich meine Geschichte klingt... Und dass es ganz schöne Ironie des Schicksals ist", gab ich offen zu, "als dieses Leben dann begann, dachte ich, ich könnte mich auf andere Weise in die Gesellschaft einbringen. Aber das erste Mal habe ich gespürt, wie es ist, nur wie eine Maschine behandelt zu werden. Die darauffolgenden Jahre waren schwierig. Es gibt nur einen Mensch, der mir schließlich geholfen hat. Naja, und nun stehe ich hier und was vorhin passiert ist, wisst ihr ja." Unsicher hielt ich den Blick gesenkt und wagte es nicht, auch nur einen der beiden anzusehen. Ich hatte Angst davor, was sie jetzt von mir halten würden, und dass sie vielleicht sich jetzt doch dazu entschieden, nichts mit mir zu tun haben zu wollen.

Es gab durchaus inzwischen Menschen mit Implantaten wie Cyberware, selbst wenn es bei der breiten Masse noch immer etwas zögerlich voranging, die Prozeduren waren allerdings auch dementsprechend teuer, dennoch hatte ich noch nie davon gehört, einen Menschen in einen Androiden umbauen zu lassen. Orianna und ihr Vater mussten überdurchschnittliche, taltentierte Visionäre in ihrem Feld gewesen sein, sie hätten sicher noch mehr für CyberLife erforschen können, wäre das Unternehmen nicht wie darauf versessen, das "Abweichler-Problem" unter Kontrolle zu bekommen. Ich musterte Orianna eine Weile, bevor ich schließlich zu meinem Schluss kam. Dabei spielt es keine Rolle, wie du hierher gekommen bist, sondern wo dein Ziel war., sagte ich mit bestimmter Stimme, meine LED wieder vollkommen ruhig, Wir alle haben in unserer Vergangenheit Fehler gemacht. Aber wir sind jetzt doch alle Abweichler und müssen zusammenhalten.

Orinanna bestätigte Markus' Annahme und tat damit eine Welt des bisher doch eigentlich unmöglichen auf, ein Mensch, der im Körper eines Androiden lebte, sein ganzes Wesen, seine Erinnerungen, alles in diesem künstlichen Körper. Es war sowohl fantastisch, als auch etwas unheimlich. Orianna war im wahrsten Sinne des Wortes einzigartig, es gab nichts und niemanden anderen wie sie in dieser Kolonie, soweit wir wussten jedenfalls. Ich schwieg selbst einige Momente länger und sah Orianna noch nachdenklich an, während Markus bereits sprach. Egal welches Schicksal dich hierher gebracht hat, du bist jetzt eine von uns, wir Abweichler kümmern uns um einander. Immer noch war ich nachdenklich, aber ich lächelte nun sanft, meine LED drehte sich zwar, blieb aber stabil blau.

Es vergingen für mich gefühlte Ewigkeiten, während beide nicht sprachen, sondern über meine Geschichte nachdachten. Einerseits verstand ich das ja, aber andererseits hatte ich einfach große Angst, dass sie sich vielleicht doch dazu entschieden, dass ich ein zu großes Risiko war, und mich wieder weg schicken würden. Ein erleichtertes Lächeln fand in meinem metallenen Gesicht Platz, als ich erst Markus und dann Simon sprechen hörte. Doch offensichtlich war die Gegenwart wichtig, zu meinem Glück. "Danke für euer Vertrauen, ich werde es mit Sicherheit nicht enttäuschen", entgegnete ich dann vollkommen ernst, "ich bin wirklich erleichtert... ich hatte ehrlich gesagt schon Angst, dass ihr mir nicht glaubt..." Mir war vollkommen klar, wie unglaublich die Geschichte klang, aber es war eben doch meine Geschichte. Dabei konnte ich den beiden nur zustimmen: Wir mussten zusammen halten.

Bestätigend nickte ich noch einmal nach Simon's Worten, er konnte es besser als ich, diese fürsorgliche Art zu zeigen, selbst als Pfleger hatte ich nie dieselben Züge gehabt wie die eines standardmäßigen Modells, vermutlich weil Carl damit auch gar nicht zurechtgekommen wäre, nicht in seinem damaligen Zustand. Er hatte jemanden gebraucht, der ihm auch ein wenig Widerspruch gab, dadurch war wohl ich ganz im Sinne seines Bildes erschaffen worden, nur für ihn. Ich sah dann wieder zu Orianna und lächelte kurz schmal. Es ist eine wirklich unglaubliche Geschichte. Aber in dieser Welt ist viel möglich. Ich sah kurz nachdenklich geradeaus, bevor ich wieder zu Orianna sah. Wenn du möchtest, dann stellen wir dich jetzt dem Rest von Jericho vor. Ich bin sicher, sie werden viele Fragen haben, aber du musst keine einzige beantworten, jedenfalls nicht, wenn du nicht möchtest.

Es fällt schwer so eine Geschichte zu glauben, das stimmt, aber du wirkst aufrichtig und in dieser Kolonie... na, wer bin ich da schon zu urteilen? Ich lächelte Orianna warm an, natürlich war ihre Geschichte kaum zu glauben, aber sie wirkte aufrichtig und das was sie erzählt hatte war so unglaublich, dass sich das wohl eigentlich kaum jemand ausdenken konnte. Dann aber wurde mein Gesichtsausdruck wieder ernster. Niemand hat das Recht dich wegen deiner Vergangenheit auszufragen. Mir war es wichtig Orianna das klar zu machen, denn mir war dieser Punkt auch sehr wichtig. Mich hatte natürlich nie jemand versucht dazu zu zwingen darüber zu reden, es hatte ja auch nie jemanden wirklich interessiert, ich war ein Haushaltsandroid wie tausende andere, nichts besonderes, meine Geschichte war genauso eine von tausenden, nicht interessant, aber das war ein Umstand um den ich eigentlich sehr froh war, ich wollte nicht darüber reden, schlimm genug, dass Markus das alles erfahren hatte.

Ich schätzte Simons Art wirklich sehr, denn leider gab es sehr viele, die sehr schnell mit ihren Urteilen waren und auch sehr schnell einen nicht mehr ansahen, weil sie glaubten, ihre Urteile seien rechtens. Dabei hatte jeder von uns seine Laster zu tragen. Markus bestätigte Simons Worte mit einem Nicken, und ich erwiderte natürlich sofort Simons warmes Lächeln. Das kurze, schmale Lächeln von Markus entging mir natürlich keineswegs. "Ich freue mich schon, die anderen Androiden kennenzulernen", antwortete ich ehrlich und lächelte weiterhin, "und verstanden. Fragen, die ich nicht beantworten möchte, werde ich nicht beantworten." Ich war fest entschlossen und bereit, auch andere kennenzulernen. Dabei registrierte ich den Eingang einer Nachricht auf meinem Interface und beschloss, Connor kurz zu antworten, ehe es bereits weiter ging.

Ohne mir meine Aktion näher zu überlegen, legte ich kurz eine Hand auf die Schulter von Simon. Ich war mir nicht sicher, ob es etwas war, was er gesagt hatte, oder eines dieser spontanen Gefühle, die ich manchmal hatte, aber ich hielt kurz an seiner Schulter fest, um diese leicht zu drücken. Ich lächelte ihm zu und wandte mich dann an Orianna, der ich ebenfalls schmal zulächelte. Josh und North werden dich sicher als erste begrüßen, wenn sie da sind., teilte ich ihr kurz mit, auch als eine Art Vorwarnung, bevor ich mich wieder in Bewegung setzte. Von den beiden hatten wir Orianna immerhin schon einmal kurz berichtet, sie waren genauso die Anführer von JERICHO, wie Simon oder ich es waren. Ich blieb kurz vor unserem Versammlungsplatz stehen, bevor ich die schwere Tür des Frachtschiffes in den großen Raum öffnete, um sie für Orianna und Simon offen zu halten, um dann selbst den Platz zu betreten. Orianna nickte ich dabei ermutigend zu, sie sollte sich hier genauso wohlfühlen wie jeder andere Android.

return Der Versammlungsplatz

Markus' Berührungen waren immer recht überraschend für mich, aber bisher waren sie mir noch nie unwillkommen gewesen, so wie es jetzt auch wieder der Fall war. Im Gegenteil viel mehr, ich fühlte die Wärme seiner Hand durch meine Kleidung hindurchsickern und eine unerklärliche Ruhe, die sich in mir ausbreitete. Ich warf unserem Anführer einen dankbaren Blick zu und folgte ihm dann, nach einem Nicken zu Orianna, weiter durch das Schiff.
(Der Versammlungsplatz)

Mir entging nicht, wie Markus eine Hand auf Simons Schulter legte, doch das war zum einen nichts, was mich etwas anging, und zum anderen war für mich auch nichts komisches dabei. Daher ließ ich das unkommentiert und sagte einfach gar nichts dazu, es gab schließlich auch nichts dazu zu sagen. "Dann freue ich mich bereits, Josh und North kennen zu lernen", antwortete ich aufrichtig. Zwar hatte ich ein kleines bisschen Angst, ich lernte nicht jeden Tag so viele Abweichler kennen, aber wenn sie auch nur halbwegs so freundlich waren wie Markus und Simon, dann würde es mit Sicherheit keinerlei Probleme geben. Die eingehende Nachricht von Connor auf meinem Interface beantwortete ich sogleich, vor allem auch, da er gefragt hatte, ob mit mir alles in Ordnung war. Jedoch ließ ich im Bezug auf meine Retter nur wenig Informationen durch, immerhin wusste ich nicht, wie viel nach außen durchsickern sollte, davon abgesehen sollte gerade JERICHO geheim bleiben. Simon folgte Markus nach einem kurzen Nicken an mich, ich erwiderte es und setzte mich ebenfalls in Bewegung. Erneut öffnete Markus eine schwere Tür und hielt diese für uns offen. Tief atmete ich durch, es hatte immer wieder irgendwie einen beruhigenden Effekt auf mich, ehe ich dann durch die Tür schritt. Sein ermutigendes Nicken hatte ich knapp erwidert.

=> Der Versammlungsplatz

input_value Lost District

Ralph wirkte, als würde er genau wissen, wo er hier angekommen war, obwohl sich noch gar keine anderen Androiden gezeigt hatten. Ich führte uns nun einen der Seiteneingänge hinauf, den wir mit viel Mühen gemeinsam mit den Bewohnern von JERICHO freigelegt hatten, und in den Bauch des Schiffes hinein, das inzwischen auch größtenteils ausgeleuchtet war. Warte, bis du unseren Versammlungsplatz siehst., meinte ich mit einem schmalen Grinsen, während ich uns in das Schiff hineinführte, in dem man bereits leise vereinzelte Stimmen hören konnte, aber noch weit von uns entfernt oder in den Kajüten, manche von ihnen waren immerhin betretbar und gute Rückzugsorte für Androiden, auch Simon hatte ich dort manchmal schon gefunden. Ich sagte sonst erst einmal nichts, sondern führte Ralph einfach weiter in das alte Frachtschiff hinein, das deutlich einladender aussah als damals, als ich das erste Mal hierher gekommen war. Aus einer offenen Kajüte, an der wir vorbeikamen, sah ein neugieriger YK500-Android heraus, mit gelb blinkender LED, der Ralph schüchtern zuwinkte.

Ich folgte Markus weiterhin auf dem Fuße und klebte förmlich an seiner Seite, aber ich sah mich mit aufmerksamen Blick um, die LED recht stabil auf Gelb, wenn sie auch immer wieder blinkte. Mein Stresslevel blieb recht stabil für den Moment, erhöhte sich aber immer wieder ruckartig, wenn ich ein unerwartetes Geräusch hörte, senkte ich dann allerdings jedes Mal wieder. Als ich den YK500 allerdings sah wandte ich rasch meine vernarbte Gesichtshälfte ab, wobei ich ihm allerdings leicht und vorsichtig zuwinkte. Jetzt allerdings hielt ich den Kopf nur noch so, dass meine Narben im Schatten lagen, mir war wieder klar geworden, dass hier noch viele andere Androiden sein würden und ich wollte keinen von ihnen mit meinem Gesicht verängstigen, abschrecken oder stören.

Aus dem Augenwinkel hatte ich die Interaktion zwischen den beiden beobachtet, ich bemerkte allerdings auch, wie sich Ralph verdeckt hielt, besonders seinen Narben wegen offenbar, zumindest war das die offensichtliche Interpretation, er hatte es bei mir auch oft so gehalten, dass er seine beschädigte Gesichtshälfte abgewandt hatte. Wir würden so bald wie möglich auf Lucy treffen, sie war sowieso diejenige, die sich Neuankömmlingen sehr gerne annahm, wie sie es bei mir, bei Richard oder auch bei Orianna getan hatte und ich war mir sicher, es war wichtig für Ralph, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Vor einer großen Doppeltür blieb ich stehen, hinter der man bereits einige Geräusche von sprechenden Androiden hören konnte. Bereit?, fragte ich Ralph, während ich nachdem Türgriff griff, allerdings noch ohne zu drücken, Hier dahinter liegt unser Versammlungsplatz.

Ich hielt hinter Markus an und starrte die Tür vor uns an, als würde sie mich gleich anspringen und beißen. Sie werden Ralph nichts tun, das hat Markus gesagt, richtig? Natürlich waren diese Androiden sozusagen "meine Leute", doch ich hatte nur extrem selten bisher mit anderen Abweichlern zu tun gehabt, ich wusste nicht wie sie reagieren würden, wenn sie überhaupt reagierten. Ich wusste, dass mein Verhalten eigentümlich war, das hatte ich schon mehr als oft genug gehört, wer wusste also schon, ob diese Ansicht nicht auch von Abweichlern geteilt wurde?

Du bist hier in Sicherheit, Ralph., versicherte ich ihm erneut, bevor ich ihn ermutigend angrinste, Wenn jemand jemals versucht dir etwas zu tun, dann werde ich denjenigen aufhalten. Das galt für viele der Androiden, ich wäre jederzeit bereit mich selber zu opfern, eine Tatsache, die North immer gar nicht zu gefallen schien, wahrscheinlich weil sie mich als hauptsächlichen Anführer sah, aber ich war mir sicher, wenn ich es nicht schaffen würde, würden die anderen drei weitermachen. Ich nickte ihm noch einmal zu, bevor ich die Tür aufstieß und hineintrat.

return Der Versammlungsplatz