Ich zog die Ärmel meiner Jacke möglichst unauffällig über meine Hände, nachdem ich sie geschlossen hatte, bevor ich aufs Deck hinaus trat und mich dem kalten Wind stellte, der vom Meer heran wehte und recht sacht über unseren Zufluchtsort strich. Hier draußen hörte und bemerkte man nichts von dem Treiben im Inneren, was auch sehr gut so war. Von außen war der große Frachter völlig verlassen, verrostet, vergessen, von Innen war er nun wieder erfüllt mit Hoffnung und Leben. All das nur dank des Androiden mit dem ich hier herauf gekommen war. Ich drehte mich zu ihm um und lächelte ihn an, meine LED blinkte, aber das lag daran, dass ich mich gegen die Kälte stemmte, die meine Gliedmaßen nun nur aggressiver hinauf schlich. Ich wollte sowieso noch mit dir sprechen Markus, ich wollte dir danken für das was du für uns getan hast, du hast der Stille und dem Sterben ein Ende gesetzt. Etwas wozu ich selbst nie in der Lage gewesen war, ich hatte uns dahinsiechen lassen.

input_value Der Versammlungsplatz

Direkt hinter Simon war ich nach oben auf das Deck getreten, es war ein wenig windig hier oben, aber nicht viel, mir machte es ja sowieso nichts aus und ich war sehr gerne an solchen, vor allem höheren Orten, um nachzudenken. Ich sah zu Simon nach vorne und betrachtete einen kurzen Moment seine blinzende LED, bevor meine Aufmerksamkeit wieder auf seine großen blauen Augen gelenkt wurde. Ohne euch hätte ich es niemals geschafft., versicherte ich Simon direkt, wenn er nur wüsste wie wenig Plan ich von Anfang an gehabt hatte, immer noch hatte, Der Dank sollte nicht nur mir gelten, sondern euch allen. Ich wollte wegen etwas ganz ähnlichem mit dir sprechen, ich habe den Eindruck, du kennst Jericho am besten.

Ich schüttelte den Kopf, ich lächelte immer noch, aber nun hatte es etwas melancholisches an sich. Es war dein Tatendrang der das alles in Bewegung gesetzt hat, dein mutigen Aktionen die uns wachgerüttelt haben. Ein besonders kalter Windstoß traf meinen Rücken und ich erzitterte, es kostete mich eine Menge Rückhalt nicht mit den Zähnen zu klappern, das Sprechen mit Markus half dabei. Ich bin am längsten hier von allen die du kennengelernt hast, das stimmt. Abwartend sah ich Markus an, den Kopf leicht schief gelegt.

Simon hatte denselben Blick, wie Carl, als ich begonnen hatte für ihn zu arbeiten. Er wirkte traurig, verstärkt wurde der Eindruck noch durch seine wässrigen blauen Augen, groß und doch so schwer. Ich musterte ihn etwas misstrauisch, als er erzitterte, ich hatte zuvor schon beobachtet, wie er seine Jacke geschlossen hatte, wie ein Mensch. Simon ist zu kalt? Es war ein wenig ein abwegiger Gedanke, ich konnte die kalte Außentemperatur kaum spüren, aber ich beschloss ihn weiter zu beobachten. Wir müssen die Leute hier inspirieren, dass wir zusammenhalten, gemeinsam für etwas größeres einstehen. Freiheit für alle., schlug ich erneut sehr direkt vor und fügte dann gleich hinzu, Aber so sehr meine Taten beeindruckt haben mochten, es braucht jemanden, der die Leute kennt. Ich denke, wenn wir zu viert Jericho anführen, dann kann uns nichts mehr aufhalten. In meinen Augen blitzte eine gewisse Entschlossenheit auf. Aber du kennst die Bewohner hier am besten, denkst du, sie wären zu so etwas bereit?

Markus hatte eine sehr mitreißende Art zu reden, das war mir bereits mehrmals aufgefallen, er schien bei allem voller Eifer dabei zu sein, voller Überzeugung, es riss einen einfach mit, es war schwer nicht voll Hoffnung zu sein, wenn er von einer besseren Zukunft sprach. Ich runzelte leicht nachdenklich die Stirn bei seinen Worten, nickte dann aber langsam. Du denkst es wäre besser eine Gruppe an der Spitze zu haben, als einen einzelnen Anführer? Wirklich einen Anführer hatten wir bisher ja nicht gehabt. Ja, die anderen hatten immer zu mir gesehen, wenn etwas passiert war, mit Problemen waren sie zu mir gekommen, um Entscheidungen war ich gebeten worden, doch das war nur deshalb so, weil ich eben am längsten hier war. Wäre noch einer der anderen hier... Stacy oder Gerald, Damien oder Kassy, aber sie alle waren nach und nach verschwunden, die einem hatten sich abgeschaltet, die anderen waren von Streifzügen nie zurück gekommen. Sie hätten das besser geschafft als ich. Ich denke, dass die Hoffnung die du in ihnen entfacht hast ihnen wieder die Energie gibt etwas zu tun, also ja, ich denke, dass sie bereit wären dir zu folgen... uns zu folgen.

Josh, North, Simon und ich unterschieden uns doch in vielen Punkten, ich hatte bemerkt, dass Josh immer versuchte so friedlich wie möglich vorzugehen, North hingegen wollte immer den direkten Weg, sie war eine kritische Stimme, die man durchaus gebrauchen konnte und dann war da noch Simon. Er war am längsten hier, hatte also am meisten Erfahrung mit JERICHO und wirkte auf mich wie jemand, der den Mittelweg zu gehen versuchte, der also die Gruppe im Blick behalten konnte, damit niemand zu extrem wurde. Vielleicht war ich auch einfach selbstsüchtig und wollte nicht alleine so eine Verantwortung tragen. Ich hatte bemerkt, wie die anderen Androiden aus JERICHO mich ansahen, aber konnte ich wirklich das erfüllen, das sein, was sie wollten? Vielleicht war ich auch einfach nur feige. Der Dialog ist der einzige Weg denke ich, ich denke, niemand ist geeigneter als Josh, North, du und ich, wir unterscheiden uns genug., erklärte ich Simon also meine Idee und nickte, zufrieden mit seiner Einschätzung, Hoffnung ist mächtig, man darf sie nur nicht erlöschen lassen. Kleine weiße Flocken begannen plötzlich zwischen uns zu fallen und ich sah zum Himmel hoch, es hatte begonnen zu schneien, ganz leicht nur, aber man bemerkte es sofort, die weißen Flocken schmolzen noch am Boden, aber lange würde es nicht mehr dauern, bis sie dort liegen blieben.

Es ist eine Option, eine Gute, wie ich finde. Ich dachte aber nicht, dass du das bevorzugen würdest. Es war nicht negativ gemeint, Markus hatte nur in seinem Auftreten so selbstsicher und überzeugt gewirkt, dass ich automatisch davon ausgegangen war, dass er diese Art von Anführer war, die alleine voran ging, so natürlich, dass ich natürlich auch nichts dagegen einzuwenden gehabt hatte. Doch ein Dialog zwischen uns, zwischen Josh, North, Markus und mir war etwas was mich erfreute und mich lächeln ließ. Ich denke mit dir wird sie nicht mehr so leicht erlöschen. Es begann zu schneien, kleine, aber unzählige Flocken. Sie landeten auf Markus' dunklen, kurzen Haaren und seiner Haut, seiner zerrissenen Kleidung und seinen dunklen Wimpern. Ich beobachtete wie sie begannen seine Form zu bedecken, ehe sie schmolzen, wie sie es auch auf dem Boden taten, wie sie es auch in meinen eigenen Haaren taten, wie ich zu spät bemerkte, als einige eiskalte Tropfen sich den Weg über meinen Nacken und meinen Rücken suchten. Ich zuckte zusammen, sog erschrocken die Luft ein, die ich ja eigentlich nicht brauchte, und griff sofort hinein um das kalte Wasser von meiner Haut zu wischen, welches die Kälte, die sowieso kaum mehr zu ertragen war und die meine Finger und Zehen taub hatte werden lassen, nur noch stärker durch meinen Körper fahren ließ.

Etwas erstaunt sah ich zu Simon, ich verstand ihn allerdings, was ein Bild er von mir haben musste, wahrscheinlich ein ähnliches wie die meisten in JERICHO nun hier, aber wenn er nur wüsste, wie viele Zweifel ich gehabt hatte und auch noch immer hatte. Ich fragte mich, ob er mich dann noch in diesem Licht sehen würde, wie er es gerade tat. Bevor ich allerdings noch etwas dazu sagen konnte, oder etwas dazu entscheiden, wurde meine Aufmerksamkeit auf etwas ganz anderes gelenkt. Meine Vermutung von zuvor. Simon ist zu kalt. Warum machst du das?, fragte ich und sah ihn neugierig stirnrunzelnd an, Ich habe dich jetzt schon einmal dabei gesehen, du zitterst, als ob dir zu kalt wäre.

Ich sah erschrocken und wie ertappt zu Makrus, als er mein Verhalten kommentierte. Innerlich fluchte ich, ich hätte besser aufpassen müssen. Nun blieb mir nur entweder zu lügen oder die Wahrheit zu sagen. Ich war schon dabei mir eine Ausrede auszudenken, als ich in Markus' Augen sah und spürte wie etwas in mir aufgab. Es gab ja sowieso nichts was sich daran ändern ließ und hatte unser neuer Anführer es nicht verdient zu erfahren das einer von denen in die er sein Vertrauen stecken wollte nicht einmal Kälte ertragen konnte wie ein normaler Android? Ich ließ etwas die Schultern sinken und zuckte dann damit, einen autonatisch entschuldigenden Ausdruck im Gesicht. Meine Biokomponente zum fühlen der Außentemperatur ist kaputt, also ja, mir ist kalt.

Mein Blick wechselte schlagartig von neugierig zu verwirrt zu besorgt. Ich wusste, dass es nicht für alle Androiden noch Ersatzteile gab, manche wurden nicht mehr produziert oder waren inkompatibel, das hatte ich am Schrottplatz genauso erlebt. Ich musterte Simon einmal genauer und fragt dann recht direkt, Konntest du bisher kein Ersatzteil dafür finden? Erst jetzt begann ich zu verstehen, dass wir draußen im Schnee standen und ich selber trug noch nicht einmal eine Jacke, ich hatte noch immer dieselbe Kleidung wie zu meiner Ankunft an, etwas das ich noch hatte ändern wollen. Komm, gehen wir lieber wieder hinein, ich wusste nicht, dass es dir etwas ausmacht, ich spüre es kaum., erklärte ich und fügte dann hinzu, Ich wollte mich sowieso nach neuer Kleidung umsehen. Ich trat nach kurzem Zögern kurzerhand doch an ihn heran und legte ihm einen Arm um seine Schulter. Ich selber war ziemlich warm, das wusste ich, Carl hatte es auch öfters erwähnt.

Ich zuckte die Schultern, als wäre es keine große Sache, das war es ja auch nicht, ich hatte bis hierher überlebt damit, es war im Winter nicht schön und ich hatte durchaus Angst davor, dass ich durch die Kälte doch Schaden nehmen würde, aber bisher war das nicht der Fall gewesen. Ich bin ein veraltetes Modell, es ist allgemein schwer Teile für mich zu finden, zudem waren andere Ersatzteile wichtiger zu finden. Wenn wir die denn überhaupt auch gefunden hatten, am Schrottplatz oder im sonstigen Müll, immer voller Angst es könnte uns jemand erwischen. Ich konnte nun kaum mehr das Klappern meiner Zähne unterdrücken, das kalte Schmelzwasser hatte mir den Rest gegeben. Tut mir leid, ich wollte keine Umstände machen. Markus und auch alle anderen hier in Jericho spürten die Kälte nicht, solange sie nicht einschneiten war der Winter ihr geringstes Problem. Ich nickte auf Markus' Vorhaben hin und wollte ihn nach kurzem Zögern auch fragen wann er das vorhatte, denn unter seiner Führung war es sicher nicht so schwer neue Kleidung zu besorgen und etwas dickeres als meine alte Jacke wöre mir durchaus lieb, aber ich kam nicht dazu, als ich plötzlich einen Arm über meinen Schultern und einen warmen Körper neben mir spürte. Markus' Körper. Ich konnte gar nicht anders als mich einen Moment dichter an diese Wärmequelle zu drücken. Oh ra9 bist du warm... Als ich bemerkte was ich tat liefen meine Wangen blau an und ich sah verlegen zu Boden. Ich meine... sorry.

Natürlich war die temperaturmessende Biokomponente nicht zwangsweise überlebensnotwendig oder extrem wichtig, aber trotzdem runzelte ich die Stirn, als ich die Worte von Simon hörte. Ich hatte das Gefühl, dass er die Bedürfnisse von anderen gerne über seine eigenen stellte, aber ich wollte nicht zu schnell über ihn urteilen, immerhin hatte ich ihn gerade erst kennengelernt. Außerdem waren Ersatzteile damals generell sehr knapp gewesen, ich fragte mich nur, ob man überhaupt Ersatzteile noch finden konnte, wenn seine Teile wohl wirklich nicht mehr produziert wurden. Ist das wirklich das, für das du dich entschuldigen möchtest? Ich bezweifle, dass du deine Biokomponente absichtlich kaputtgemacht hast., sagte ich schließlich auf seine Entschuldigung hin und konnte es nicht verhindern kurz ganz schmal zu schmunzeln, als er sich so an mich drückte. Ich schob ihn langsam aber sicher in Richtung des Einganges in das Frachtschiff hinein, damit wir meinen Plan zumindest drinnen besprechen konnten, ich würde es mir merken, dass Simon zu kalt wurde. Ich habe so etwas bereits einmal gehört., stellte ich doch etwas belustigt fest und konnte nicht anders, als meine andere Hand auf Simons Brust abzulegen, um ihn noch etwas an mich heranzuziehen, Lass mich dir meine Wärme leihen. Seine blauen Wangen hatten einen Effekt auf mich, ich war mir nur noch nicht ganz sicher, welchen.

Naja, nein, aber es macht doch nur Umstände... Ich spürte starke Verlegenheit, teils wegen der Tatsache, dass Markus nun wusste, dass ich diese dumme Schwäche hatte, und teils, weil Markus mich nur noch dichter an sich heran zog und ich spürte wie mein "Herz", wie ich die Biokomponente, die meine Mitte bildete gerne nannte, einen Moment fast aussetzte, als die Hand des Androiden neben mir über ihr landete. Ich war so viel Körperkontakt gar nicht mehr gewohnt, weder waren die meisten Androiden ich Jericho große Schmuser, sie hatten auch ganz anderes woran sie denken mussten als jemanden zu umarmen. Ich wollte mich gar nicht mehr gegen die Wärme wehren, die Markus mir schenkte und nickte nur stumm, während ich mich von ihm wieder zum Eingang schieben ließ. Von wem hast du das schon gehört? Ich fragte mich was Markus vor seiner Abweichung und seinem Weg hierher wohl für ein Leben geführt hatte, was ihn dazu gebracht hatte abzuweichen, wer ihn geprägt hatte.

Wenn Simon nur wüsste, was ich selber für ein einziger Umstand war, aber ich beschloss noch mein Gesicht zu wahren, ich wollte meine neuen Weggefährten nicht schon gleich mit meinen Selbstzweifeln enttäuschen, auch wenn ich selber wusste, dass ich irgendwann wohl darüber reden musste. Ich beförderte uns allerdings langsam aber doch sicher in Richtung des zumindest vom Schnee geschützten unter Deck. Nur als mir Simon diese eine, aber sehr gerechtfertigte Frage stellte, blieb ich ganz kurz stehen und sah gedankenverloren auf den Schnee vor mir. Der Mensch, um den ich mich gekümmert habe., antwortete ich schließlich eher neutral, aber doch deutlich nachdenklich, während ich uns wieder in Bewegung versetzte. Ich hoffte wirklich sehr, dass es Carl noch gut ging, trotzdem Schock und allem, er hatte sehr instabil gewirkt, aber ich hoffte so sehr, dass er sich wieder erholen würde.