Ich war gerne an den Decks oben, sie boten etwas Freiraum und Stille, man konnte gut dort nachdenken, das hatte ich auch schon getan, an mehr hatte ich mir dabei gar nicht gedacht. Ich folgte Simon also die Treppen hinauf in die Gänge, zwischen den verschiedenen Kajüten hindurch. Es fühlte sich anders an als zuvor, nicht so düster und unberechenbar, sondern heller und beinahe willkommenheißend, besonders mit all den verschiedenen Stimmen, die man doch noch eine Weile durch die Gänge hören konnte. Ich konnte meinen Blick kaum von ihm lösen, während ich ihn einfach nur nachdenklich betrachtete, er war immerhin schon sehr lange hier, man bemerkte es auch, aber man bemerkte auch seine deutliche Erleichterung, dass unsere Mission bei den Lagerhäusern erfolgreich gewesen war.

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Den Moment, indem sich Simon wieder von mir gelöst hatte, bevor wir den Versammlungsplatz betreten hatten, wäre meine erste Reaktion gewesen ihn wieder an mich zu ziehen, ich musste mich aktiv dagegenstellten, all diese Impulse hatte ich früher noch nicht gehabt, vor dem Streit mit Leo, es war verwirrend, aber zumindest schaffte ich es mich zurückzuhalten. Ich wollte auf keinen Fall etwas tun, dass Simon nicht wollte, Androiden mussten das bereits mehr als oft genug ertragen. North!, sprach ich sie direkt an, da sie sich gerade in der Nähe befand, Wir sollten uns nach Kleidung umsehen. Ich bezweifelte, dass sie welche in JERICHO hatten, aber es konnte nicht schaden, besonders wenn wir unter Menschen untertauchen wollten. Sie wirkte zuerst etwas irritiert, doch nickte dann schließlich, bevor sie Josh herrief, der auch gleich kam.

Markus rief North zu sich und auch Josh trat nach aufruf zu uns, dem sie knapp erklärte was Markus wollte und dem ich mit sanfter Stimme noch etwas hinzuzufügen hatte. Wir haben viele hier die noch ihre Uniformen tragen, wenn sie draußen untertauchen wollen sollten brauchen sie menschliche Kleidung. Und wenn ich dabei noch eine wärmere Jacke finden konnte würde ich mich nur zu sehr freuen. Josh stimmte rasch zu, ihm schien die Sache sehr schlüssig zu sein, North allerdings auch. Meine LED drehte sich einige Male während ich überlegte wo wir wohl Kleidung herbekommen konnten ohne sie zu stehlen, denn das wäre gerade im Winter nur schwierig zu bewerkstelligen, wenn niemand seine Sachen draußen zum trocknen aufhängte. So war ich jedenfalls an diese Kleidung hier gekommen. Ich glaube es gibt Läden wo Kleidung hingebracht werden kann die man nicht mehr möchte, Menschen mit wenig Geld können sie sich dort gratis holen. Ich sah fragend zu Markus, es war immerhin nur so eine Idee, vielleicht hatte er ja schon eine ganz andere.

Was Simon sagte war im Prinzip genau richtig, natürlich konnten wir uns auch nicht unendlich Kleidung beschaffen, vor allem sollten es nur noch mehr Androiden werden, würden wir irgendwann an unsere Grenzen stoßen, aber etwas Kleidung, vor allem wenn wir Vorräte oder Ersatzteile holen mussten, war sicher nicht verkehrt. Man musste vorausplanen, es war wie mit dem Plan für Carl, den ich hatte, nur... anders, freier. Ich vermisste ihn und die Sicherheit des Hauses trotzdem. Eine ausgezeichnete Idee, Simon., stimmte ich ihm sofort zu, Josh war nicht schwer zu überzeugen, sogar North wirkte halbwegs zufrieden, vermutlich eher bei dem Gedanken die Kleidung anderen Menschen wegzunehmen, Wir brechen sofort auf, noch ist es früh, es sollten nicht zu viele Menschen unterwegs sein.

Ich kam nicht umhin bei dem Lob leicht zu lächeln, ehe ich wieder ernster die anderen ansah, die beide zustimmten. Markus wollte gleich geheb und er hatte ganz recht, so früh waren wenige Leute unterwegs, es war sicherer für uns. Und doch war es Riskant, ich hoffte sehr, dass niemand uns aufhalten würde. Lasst uns vorsichtig sein. Das richtete ich besonders mit sanfter strenge an North, auch wenn ich dafür nur ein Augenverdrehen bekam, doch ich wollte sie daran erinnern. Allerdings kam auch sie mit, als ich voran ging, hinaus aus dem Schiff, wobei ich mich aufmerksam umsah, dass uns auch niemand beobachtete, und dann weiter durch die Kolonie.
(Das Bildungszentrum/Greektown)

Irgendetwas motivierte mich Simon öfters lächeln zu sehen, wenn er gerade so lächelte, bevor der Moment auch schon wieder vorbei war und er damit aber natürlich recht hatte, wir mussten uns konzentrieren, darüber waren wir uns zum Glück aber alle einig, also ging Simon voraus und wir folgten ihm, er wusste schließlich anscheinend, wo wir hinmussten. Ich blieb dabei allerdings dicht hinter ihm, möglichst auch um ihn ein wenig zu verdecken, sodass wir hoffentlich einfach nicht groß auffallen würden so als Gruppe. Es ging hinaus in das historische Handelszentrum, dort wo ich damals Farben für Carl kaufen hatte wollen, wo auch die Protestanten versucht hatten mich zu attackieren.

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Wir traten oben auf dem Catwalk heraus auf den Versammlungsplatz, der inzwischen wenigstens beleuchtet war, und auf dem sich viele der anderen Abweichler tummelten, natürlich befanden sich auch welche über das gesamte Schiff verteilt, aber hier waren es definitiv immer am meisten. Die meisten wirkten beschäftigt oder in Gespräche vertieft, manche saßen einfach nur abwesend da, aber North war die erste, die sofort auf uns zukam, in direkten bestimmten Schritten und mit einem misstrauischen Ausdruck im Gesicht. "Wer ist sie?" Ich lächelte schmal. North, das ist Orianna, sie ist eine von uns. Josh konnte ich noch nicht erkennen, aber wo North war, war Josh meistens auch nicht weit, er und sie waren oft in Streitereien verwickelt, was dann wieder die Anwesenheit von Simon sehr wichtig machte, denn er konnte wenigstens die mittlere Position vertreten, um das ein wenig auszugleichen. "So ein Modell habe ich noch nie gesehen." Sie schnalzte mit der Zunge und musterte dann Simon fragend, als ob sie von ihm eine bessere Erklärung erwarten würde.

Ich hatte nur einen Moment den erhebenden Anblick unseres Versammlungsplatzes zu genießen, der dank Markus' Leistungen nun so viel belebter war. Die Abweichler hier redeten tatsächlich wieder miteinander, die meisten taten etwas, nur noch wenige saßen leer herum. North kam nämlich prompt auf uns zu marschiert und wollte wissen wer Orianna war. Alles wie erwartet. Mein Gesichtsausdruck war ruhig und entspannt, ich kannte North seit sie hergekommen war, sie war ruppig und konnte brutal sein, doch sie hatte viele Enttäuschungen erlebt und wollte sich und uns schützen, leider eben mit frontaler Gewalt. Ein Modell wie Markus hatten wir zuvor auch noch nicht gesehen, Orianna ist da eben nicht anders. Ich würde ihr nicht Oriannas Geschichte erzählen, wie ich zuvor schon klar gestellt hatte war das alleine der Androidin selbst überlassen, ob und wem sie ihre Herkunft erklärte.

Neugierig sah ich mich um, als wir den Versammlungsplatz betraten. So viele Androiden an einem Ort hatte ich noch nie gesehen, und der Gedanke, dass sie alle Abweichler waren, so wie ich, war wirklich ermutigend. Damals hatte es sich angefühlt, als wäre ich allein auf der Welt, auch wenn ich gewusst hatte, dass dem nicht so war. Schon wenig später trat ein weiblicher Android auf uns zu, und ich hätte mich wohl angespannt, wenn das noch möglich wäre. Stattdessen sah ich sie unsicher an und senkte dann den Blick. Das war wohl also North, ich wusste nicht genau, was ich von ihr halten sollte, aber wer war ich denn schon, mir bereits jetzt ein Urteil über sie zu machen? Kurz darauf musterte sie Simon, nachdem Markus mich vorgestellt hatte, jedoch bekam sie von ihm auch keine bessere Antwort. Innerlich war ich dankbar, dass die beiden ihr Wort hielten und ich ihnen offensichtlich fest vertrauen konnte. "Es gibt auch kein anderes Modell wie mich", antwortete ich schlicht, beschloss dabei, meine Geschichte mit ihr noch nicht zu teilen. Es reichte, wenn Simon und Markus diese wussten, ich war noch nicht bereit, diese auch mit ihr zu teilen. "Aber das ändert nichts daran, dass ich auch ein Abweichler bin. So wie alle anderen hier", antwortete ich dann und hob, nun wieder sicherer den Blick, um sie fest und ernst anzusehen. Meine blauen Irden leuchteten ihr entgegen.

North wirkte etwas unzufrieden über die Antwort von Simon, allerdings musterte sie Orianna nur einmal misstrauisch, bevor sie beinahe schon genervt wirkte, dann aber doch mit dem Schultern zuckte. Sie schien den Zusammenhang von Simon nicht ganz begreifen zu wollen, auch wenn er vollkommen recht hatte, als existiere für sie ein eindeutiger Unterschied zwischen mir und Orianna, was mir allerdings nicht ganz klar war, welcher das sein sollte. "Hast du vor hierzubleiben?", fragte sie sich gleich sehr direkt, aber ich beschloss gleich zumindest zum Teil die Frage für Orianna zu beantworten, um ihr ein wenig unter die Arme zu greifen, falls sie sie nicht gleich beantworten wollte, Wir wollten ihr gerade erst einmal JERICHO zeigen. Immerhin gab es noch deutlich mehr zu sehen, als nur den Eingang zum Versammlungsplatz oder ein paar enge Gänge.

Orianna hielt sich gut, was mich beruhigte, denn gegen North war es wichtig Standhaftigkeit zu beweisen. Sie wirkte zwar nicht sehr überzeugt, ließ das Thema aber immerhin vorerst bleiben, ehe sie auch schon die nächste Frage hinterher feuerte, auf die allerdings Markus bereits etwas antwortete. Längst nicht alle Abweichler blieben auch wirklich hier, manche versuchten über die Grenze zu kommen, andere wollten Freunde wieder finden, oder gar weitere Abweichler. Einige sah man wieder, viele nicht. Draußen war es nicht sicher für uns. Egal ob sie bleiben möchte oder nicht, sie wird uns immer Willkommen sein.

Ich versuchte, weiterhin standhaft zu bleiben und mir nichts anmerken zu lassen. Jedoch verunsicherte mich ihr Auftreten sehr, auch wenn ich mir Mühe gab, genau das mit nicht anmerken zu lassen. So war ich dich froh, als Markus dann eine Antwort übernahm. Dankbar lächelte ich Simon nach seinen Worten an, es war ein schönes Gefühl, zu wissen, dass ich hier jederzeit willkommen sein würde. "Dann freue ich mich darauf, mehr von JERICHO zu sehen", antwortete ich beiden und wandte mich damit von North ab. Noch war ich mir nicht sicher, was ich von ihr halten sollte, aber ich war niemand, der sich mit der ersten Begegnung gleich ein Urteil erlauben sollte. Ohne Markus und Simon wäre ich zwar nicht hier, aber würde ich mich alleine North gegenüber stellen müssen, hätte ich wahrscheinlich gleich wieder die Flucht ergriffen.

"Du bist einfach zu nett, Simon." North wirkte beinahe schon frustriert mit ihm, aber das war sie öfters, an manchen Tagen hatte ich das Gefühl sie konnte Simon überhaupt nicht leiden und an manchen agierte sie beinahe beschützerisch. Sie war eine sehr komplexe Person, jemand der allerdings auch viel Wut in sich hatte. Ich sah mich um, doch auch jetzt konnte ich Josh nicht finden. Ich nickte Orianna aufmunternd zu. "Ich muss mich noch um etwas anderes kümmern. Bis später." North verabschiedete sich recht schnell, sie ging einfach nach ihren Worten und wir blieben erst einmal wieder zu dritt zurück. Hier ist unser Versammlungsplatz., erklärte ich schließlich und trat an das Geländer, ich machte eine Geste, dass Orianna dasselbe tun sollte, denn von hier oben aus konnte man eigentlich den gesamten Platz überblicken, auf dem sich unsere Androiden sammelten.

Ja, das hast du mir schon öfter zu verstehen gegeben. Vielleicht hatte North ja recht, ich war zu nett, aber ich mochte nicht anders sein. Ich war hier damals mit offenen Armen empfangen worden und ich wollte und konnte nicht anders als das selbst ebenfalls so zu machen, wenn sich uns ein neues Gesicht anschloss. Orianna ließ sich von North nicht weiter einschüchtern, welche dann auch schon wieder davon marschierte. An Markus' Seite stellte ich mich schließlich auch ans Geländer und sah hinab auf den Versammlungsplatz.

Einerseits fragte ich mich wirklich, was das Problem von North war. Sicher konnte es auch zu einem Problem werden, wenn man zu nett war, andererseits gab es in dieser Kolonie einfach zu wenige, nette Personen, ganz egal ob Mensch, Meta oder Android. Ich hoffte, dass wir irgendwann mehr Verständnis für einander hatten, für alle, und dann endlich in Frieden miteinander leben konnten. Alle gemeinsam. Ohne Unterschiede, denn am Ende wollten wir alle nur das Gleiche: In Frieden leben. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als Markus mir aufmunternd zunickte, schwach erwiderte ich es. Wenn ich ehrlich war, dann war ich danach wirklich froh, als North sich wohl noch um etwas kümmern musste und sie ging. Bisher hatte ich keinen guten, ersten Eindruck, aber ich nahm mir vor, noch kein Urteil zu fällen. Das war einfach nicht der richtige Moment. Und wer war ich schon, dass ausgerechnet ich ein Urteil über andere fällte. Nachdem Markus mir mit einer Geste signalisiert hatte, dass ich auch an das Geländer treten sollte, tat ich es ihm gleich, und Simon wenig später ebenso. "Das ist beeindruckend", gab ich offen zu. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viele Androiden an einem Ort gesehen. Und dass sie alle Abweichler waren, machte es noch beeindruckender.