Ralph wurde doch tatsächlich rot, oder in diesem Fall eher blau, schien sich aber tatsächlich über mein ehrliches Kompliment zu freuen. Nun, dann hat es dir eben jetzt jemand gesagt., stellte ich fest und musterte ihn etwas, während sein Blick so fest auf der Blume lag. Er wirkte tatsächlich entspannt und je länger ich ihn so sah, desto stärker meldete sich mein Beschützerinstinkt, wenn ich daran dachte, woher wohl diese Narben stammten. Möchtest du die Blume halten?

Mein Blick zuckte von der Blume hoch zu Blythe, nun wieder etwas unsicher. Darf Ralph das wirklich? Ralph würde das sehr gerne tun. Ralph findet die Sonnenblume wunderschön. Meine LED hatte gerade ein stabiles gelb und drehte sich nur ab und zu. Mein Stresslevel war auf 37% gesunken, auch wenn sich das bei mir schnell wieder ändern konnte. Ich konnte das nicht beeinflussen, auch wenn ich es wollte. Noch schlimmer, stieg mein Stresslevel immer weiter an wurde es noch angetrieben von der Angst davor es eines Tages 100% erreichen zu sehen. Ich wollte mich nicht selbst zerstören, auf gar keinen Fall, doch sollte es passieren würde ich es nicht aufhalten können und das machte mir fast genau so große Angst wie die Menschen.

Seine Augen wanderten von der Blume zu mir und ich konnte jetzt erst richtig sehen, wie die Wunden auch sein Auge beeinflusst hatte. Das andere hatte eine braun-grüne, man mochte meinen beinahe goldene, Farbe, während das andere vollkommen schwarz war. Es schreckte mich allerdings keineswegs ab, da ich schon einige schlimmere Verletzungen gesehen hatte und ich einen Androiden auch einfach grundsätzlich nicht als gruselig empfand. Natürlich., bestätigte ich ihn lächelnd, Ich kann sie dir auch wieder auf den Boden legen, wenn du mir nicht zu nahe kommen möchtest. Dank meinem besten Freund wusste ich eindeutig aus erster Hand, wie es sein konnte, wenn man Ängste vor Berührungen oder generell körperlicher Nähe hatte, andererseits gab es auch Personen, die einfach nur eine Weile brauchten, um genügend Vertrauen aufzubauen. Ich wollte Ralph also keinesfalls drängen.

Wieder glitt mein Blick von der Blume zu Blythes Gesicht. Langsam nickte ich, es war mir wirklich lieber, wenn sie mir noch nicht zu nahe kam, sie konnte mir immer noch weh tun. Ich wollte die Sonnenblume wirklich, wirklich gerne halten, es wäre wie eine kleine Sonne in den Händen zu haben.

Verständnisvoll nickte ich und machte dann langsam einen Schritt zurück, um die Blume zwischen uns auf den Boden zu legen, ohne ihm dabei zu nahe zu kommen. Ich schob sie so nahe wie möglich an ihn heran, damit er nicht näher zu mir kommen musste. Hier bitte. Grenzen zu respektieren lag mir sehr am Herzen, außer wenn ich gerade auf jemanden einprügelte, weil er ein Arschloch war. Aber das sollte eigentlich meiner Meinung nach selbstverständlich sein.

Ich beobachtete jede von Blythes Bewegungen und war froh um ihre Zurückhaltung und Vorsicht. Erst als die Blume dichter bei mir lag beugte ich mich runter, die Heldin immer noch nicht aus den Augen lassend, und hob die Sonnenblume auf. Erst als ich den leicht haarigen Stängel in der Hand hatte wandte ich den Blick ab und betrachtete fasziniert die gelben Blüten, die im Kreis um die Samenreiche Mitte wuchsen. Ganz vorsichtig hob ich die freie Hand und strich über die Blütenblätter, über jedes einzeln, als könnten sie bei jeder härteren Berührung abfallen oder zu Staub zerfallen. Einige Momente drehte sich meine LED auf blau.

Mit voller Rücksicht auf Ralph versuchte ich mich wieder so wenig wie möglich zu bewegen, während er seine Augen auf mir ließ und vorsichtig die Blume aufhob. Ich konnte Misstrauen nur zu gut nachvollziehen, immerhin war ich dennoch irgendwo ein Mensch und alleine, dass er sich beruhigt hatte und nicht mehr unter der Treppe saß, war schon ein riesiger Fortschritt. Trotzdem blieb die Frage nach dem warum. Interessiert musterte ich ihn, wie sanft er mit der Pflanze umging und hätte es beinahe verpasst, wie sich seine LED von gelb zu blau änderte. Auch wenn es nur kurz anhielt, so spürte ich doch einen gewissen Stolz in der Brust. Ich war grundsätzlich nicht so der soziale Typ und half viel lieber durch Taten als mit Worten, aber das machte diese ganze Situation nur noch besonderer. Ich glaube, es hat sich noch nie jemand so über eine von meinen Blumen gefreut., stellte ich halblaut fest.

Ich ließ ein glückliches Geräusch hören, das vielleicht fast an ein Gurren erinnerte, und schnupperte an der Sonnenblume. Für die meisten rochen diese Blumen nach nichts, doch an ihnen hing ein ganz zarter Duft, der die meisten an den Sommer erinnern würde. Erst als Blythe wieder sprach sah ich wieder von der Blume auf. Blumen sind toll. Sie sind ein Zeichen der Umwelt, dass sie sich freut uns zu sehen. Meine Stimme nahm einen trauigen Klang an. Ich war dafür geschaffen worden mich um Pflanzen zu kümmern. Pflanzen, die nur noch künstlich wuchsen, in einem einzigen Ort in der gesamten Kolonie. Wer wusste schon wie es draußen aussah?

Ralphs Gurren, oder was auch immer das für ein Geräusch genau war, das er da erzeugte, ließ mich leicht lächeln, während er sich weiterhin fasziniert mit der Blume beschäftigte. Früher hatte ich diese Fähigkeit als nutzlos empfunden, wenn nicht sogar als schamvoll oder falsch, bei dem ganzen Ärger, den ich mir mit ihr eingefangen hatte, aber ich war stärker als meine damaligen Gefühle. Selbst wenn ich es noch nicht wäre, allein dieser Moment hätte gereicht, dass es all den Schmerz und den Hass wert gewesen wäre. Danke Ralph. Denn dafür stand ich schließlich ein, auch wenn ich normalerweise niemanden mit Blumen beschützte. Auf seinen traurigen Tonfall hin, legte ich meinen Kopf leicht schief, wie um die Situation besser einzuschätzen. Bist du traurig?

Mit einem leicht traurigen Lächeln sah ich Blythe an und strich sanft mit den Fingerspitzen über die Samen im Kreis der Blütenblätter streichend. Ralph musste daran denken, dass es in der Kolonie nur in den Gärten Pflanzen gibt. Ralph wurde erschaffen um sich um Pflanzen zu kümmern, aber das kann er nirgendwo machen. Ich legte den Kopf etwas schief und musterte Blythe. Warum hat Blythe sich bei Ralph bedankt?

Es dauerte ein wenig, bis mir die richtigen Worte einfielen, die ich zu Ralph sagen wollte. Immerhin konnte man das, was er sich gerade fragte, durchaus als Frage nach dem Sinn eines Lebens bezeichnen und das war wirklich nicht einfach zu beantworten. Zumindest nicht für jemanden wie mich, der ungefähr so viel mit Philosophie zu tun hatte wie unsere Regierung mit wahrer Gerechtigkeit. Vielleicht könnte ich dir ja dabei helfen., schlug ich also vor, da ich leider nicht wirklich wusste, was ich sonst hätte sagen sollen. Ich war nun einmal jemand, der lieber zur Tat schritt, anstatt über Probleme groß nachzudenken. Auf seine Frage hin lächelte ich leicht und zupfte an meinen Ärmeln. Es freut mich einfach, dass du die Blumen so schön findest. Früher hatte ich oft große Probleme wegen meiner Fähigkeiten.

Würd Blythe das tun? Aber wie? Und wieso? Ich strich noch ein letztes Mal über die Blätter der Sonnenblume und legte sie dann vorsichtig wieder an die Stelle an der ich sie aufgenommen hatte. Blythe hatte sie mich schließlich nur halten lassen, ich wollte nicht, dass sie sauer wurde, weil ich die Blume länger in der Hand behielt, auch wenn ich das nur zu gerne getan hätte. Meine LED drehte sich nun wieder auf ein solides Gelb und ich ging erneut ein paar Schritte zurück, Blythe beobachtend. Blythes Fähigkeit ist wunderschön. Blythe kann Leben erschaffen, Leben das schön und auch nützlich ist. Ralph findet, dass das eine tolle Fähigkeit ist.

Das war keine besonders einfache Frage, die Ralph mir da stellte, immerhin wusste ich auch noch nicht ganz, wie genau ich ihm helfen wollte. Aber das warum war eigentlich völlig klar für mich. Ralph löste in mir meinen Beschützerinstinkt aus, aber eben auf eine besondere Art und Weise, wie ich es sonst meistens nur meinem besten Freund gegenüber empfand. Etwas verwundert beobachtete ich ihn dabei, wie er die Blume wieder auf dem Boden legte, bevor mir meine originalen Worte wieder einfielen. Du darfst die Blume so lange haben wie du willst, ich kann schließlich immer neue machen., ermutigte ich ihn und überlegte währenddessen, wie ich ihm das am besten erklären sollte und im Optimalfall vielleicht sogar ein kleines Stück seines Vertrauens gewinnen konnte. Ich war inzwischen ziemlich sicher, dass er eigentlich keine Gewalt mochte, sondern vielmehr traumatisiert war. Darf ich dir eine Geschichte erzählen, Ralph?

Mit verwunderten Azugen sah ich Blythe an, als ich ihre Worte hörte. Ist Blythe sich sicher? Dennoch neigte ich mich wieder nach vorne, nachdem ich erneut ein paar Schritte vor gemacht hatte, um die Sonnenblume erneut aufzuheben. Ralph bedankt sich bei Blythe. Mein Blick wurde nun wieder fröhlicher und ich strich andächtig mit meinen weißlichen Fingerspitzen über die Blüten. Fragend sah ich dann wieder auf und nickte schließlich. Ralph mag Geschichten. Er wird Blythe zuhören.

Auch wenn ich ein Metamensch war und ich schon deutlich schlimmeres erlebt hatte, schmerzte das ganze Stehen doch ein wenig, weshalb ich mich umsah. Es gab hier unten tatsächlich Stühle und einen Tisch, weshalb ich vorsichtig zu Ralph schielte, der sich gerade wieder über die Blume freute. Natürlich bin ich mir sicher., sagte ich freundlich, immerhin hätte ich es ihm sonst nicht angeboten, aber das sprach wohl auch wieder für seine große Vorsicht, die er Menschen egal welcher Art gegenüber hatte. Ich werde mich dafür hinsetzen, es tut weh länger zu stehen, okay? Es war vermutlich in meinem besten Interesse, alles, was ich tat vorerst einmal anzukündigen, weshalb ich mich dann auch langsam und mit möglichst großem Abstand zu Ralph auf den Stuhl zubewegte.