Ich nickte sogleich und beobachtete Blythe, wie sie sich zu einem der wenigen Möbelstücke in diesem Haus, in diesem Falle ein Stuhl, bewegte. Schon als ich hergekommen war, war das meiste bereits ausgeräumt gewesen, über die Zeit hatten sich immer wieder Leute die hergekommen waren Sachen mitgenommen, die sie brauchten, oder einfach haben wollten. Ich brauchte keine Möbelstücke, jedenfalls wusste ich nicht wirklich was ich damit anfangen sollte. In den Gärten hatte ich nicht viele Menschen bei ihren täglichen Aktivitäten beobachtet. Ich ahnte, dass die Bettgestelle zum Schlafen gedacht waren, aber das war mir beispielsweise wieder viel zu riskant gewesen. Aufmerksam sah ich Blythe an, darauf wartend, dass sie mit ihrer Geschichte begann. Ich stand weiterhin da wo ich gewesen war. Ein Android wurde eben nicht müde.

Mit einem erleichterten Seufzen ließ ich mich auf den Stuhl nieder, denn es war wirklich angenehm nicht mehr stehen zu müssen, drehte mich aber sofort wieder zu Ralph, damit ich ihn beobachten konnte. Inzwischen weniger, für meine eigene Sicherheit, sondern weil es mir einfach unhöflich vorkam, ihn nicht anzusehen, weshalb ich den Stuhl auch gleich zurecht rückte. Ich war mir aber auch nicht sicher, ob er überhaupt Definitionen von "unhöflich" und "höflich" hatte, zumindest für sich persönlich. Früher, als ich klein war, habe ich meine Metafähigkeit geliebt. Der Schulhof, so wie der Rest der Kolonie, war immer so schrecklich grau auf grau, aber ich, ich konnte Blumen wachsen lassen. Nur mit meinem eigenen Willen. Mein Blick wurde etwas ernst. Aber eines Tages, haben einige Kinder mich beobachtet, wie ich Veilchen hatte wachsen lassen und sie wussten, dass sie mit mir ein leichtes Spiel hatten. Ich war damals noch klein und schwach und ein Metamensch, ich konnte mich nicht wehren und die Lehrer waren nicht auf meiner Seite. Inzwischen verspürte ich keinen Hass mehr oder Trauer, es war einfach eine Geschichte wie jeder andere auch. Aber ich wollte Ralph damit erklären, warum es mich ehrlich freute, dass er meine Fähigkeit als schön empfand. Sie haben mich damals verprügelt und ernsthaft verletzt, ich konnte einige Tage nicht aufstehen und die Narben trage ich bis heute. Ein für meine Verhältnisse ungewöhnlich sanftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Deswegen danke ich dir, Ralph, es ist schön, dass dir meine Fähigkeit Freude bereitet.

Während Blythe erzählte begann meine LED rapide zu blinken. Ein Zeichen dafür, dass ich mich konzentrierte und die Geschichte der Frau mir gegenüber zu verarbeiten suchte. Ich war mir nicht sicher was ich fühlte, vermutlich zu einem Teil Mitleid und zu einem anderen Verständnis. Ralph versteht. Ralph tut es leid, was die Kinder Blythe angetan haben. Sie hatten kein Recht das zu tun. Ralph ist beeindruckt was aus Blythe geworden ist, obwohl Blythe so schlimme erlebt hat. Ich sah für einige Momente auf die Sonnenblume in meinen Händen hinab. Blythe war so stark geworden nachdem ihr die Menschen wehgetan hatten und ich versteckte mich seit ich ein Abweichler geworden war in einem Haus. Ich war beeindruckt von Blythes Stärke, doch wusste, ich würde so etwas niemals selbst fertig kriegen. Alleine beim Gedanken daran nach draußen zu gehen begann meine LED ins rote abzurutschen, also ließ ich es sofort wieder.

Da ich persönlich noch nie wirklich ein richtiges Gespräch mit einem Abweichler geführt hatte, hatte ich leider kein Vergleichsmaterial, allerdings fühlte es sich wirklich nicht viel anders an, wie das mit einem Menschen. Eigentlich wirkte Ralph sogar sehr empathisch auf mich, etwas, was mir nicht immer möglich war. Es muss dir nicht leid tun, Ralph, diese Erfahrung hat mich nur stärker gemacht. Ich war noch nie jemand gewesen, der sich lange an seinen eigenen Gefühlen aufgehangen hatte, sondern hatte alles, was viele mit Worten regelten, lieber in Taten umgewandelt. Ich hatte durch diese Erfahrung nichts verloren, sondern nur dazugewonnen. Aber danke, das ist wirklich nett von dir. Ich musterte ihn leicht, bevor ich mich in diesem doch etwas grauen und vor allem zerfallenen Haus umsah. Die Blumen habe ich noch nie als wirklich nützlich angesehen, aber ich helfe dir gerne, den Garten wieder zu dir zu bringen, wenn du nicht mehr zum Garten kannst.

Ich musste eine ganze Weile nachdenken, bis ich mir die Worte zurecht gelegt hatte, die ich nutzen wollte. Ralph findet, dass Blythe ein besonders starker Mensch ist. Ralph kennt nicht viele Menschen, aber Blythe wirkt... als wäre sie etwas besondere. Ein ganz neues Gefühl erhellte mein Gesicht und schien meine Brust zu wärmen, wobei letzterey ohne eine Überhitzung eigentlich nicht möglich war. War das am Ende... Hoffnung? Blythe würde das wirklich für Ralph machen?

Eigentlich hatte ich nicht mit Komplimenten gerechnet, wenn ich ihm diese Geschichte erzählte, weshalb ich schon ein kleines Stück überrascht war. Möglicherweise bildete sich auf meinen Wangen auch ein kurzer, schnell wieder verschwundener Rot-Schimmer ab, während ich kurz zu Boden sah, der genau wie der Rest des Hauses auch etwas zerfallen, aber noch stabil wirkte. Dann wandte ich meinen Blick wieder zu Ralph. Danke., presste ich zwischen meinen Lippen heraus, nicht, weil es mir schwerfiel mich zu bedanken, sondern vielmehr, weil ich mir unsicher war, ob ich gerade richtig reagierte. Es war schließlich nicht so, als ob mir normalerweise Komplimente hinterher geworfen wurden und ja, vielleicht war ich auch ein minimales Stück in Verlegenheit geraten. Wenn du mich lässt, dann gerne, Ralph.

Ich lächelte Blythe liebenswert an, als sie so verlegen reagierte. Es freute mich, dass sie nicht negativ auf meine Worte reagierte, mehr konnte ich mir nun wirklich nicht wünschen. Auch begann ich nun auf den Fußballen auf und ab zu wippen, voller Begeisterung, als Blythe ihr Angebot bestätigte. Ralph will das sehr gerne!

Jeder, der mich normalerweise kannte, würde mir vermutlich nicht glauben, dass ich es in Rekordzeit geschafft hatte, einen verängstigten Androiden, der sich unter einer Treppe versteck hatte, zum Lächeln zu bringen. Vor allem jetzt gerade, wie er auf und ab wippte und mich begeistert ansah, kam mir die Situation etwas surreal vor. Zum Glück hatte ich diese Meta-Fähigkeit, sonst wäre die ganze Sache vermutlich deutlich anders abgelaufen. Leicht nervös kratzte ich mich am Hinterkopf, da ich nicht ganz wusste, was ich mit mir machen sollte, da ich es zwar mochte Leuten zu helfen, aber normalerweise deswegen nicht mit, wenn man es denn als so etwas bezeichnen konnte, Zuneigung überhäuft wurde. Dann machen wir das so. Vorsichtig fühlte ich mit einer Hand nach meiner Wunde, deren schmerz jetzt dumpfer war, aber ich spürte nur zu deutlich, wie sich das Gewebe erst regenerieren musste.

Als ich sah wie Blythe sich an die Seite griff dimmte sich mein Lächeln und meine Laune wieder etwas und ich dachte mit gelb blinkender LED nach, ehe mir eine Idee kam. Will Blythe sich vielleicht hinlegen? Oben gibt es Betten. Ralph weiß nicht ob man noch gut in ihnen schlafen kann, aber sie sind da.

Etwas überrascht sah ich auf, um sein Gesicht zu mustern. Mein erster Instinkt war es eigentlich sofort abzulehnen, da ich ungern Hilfe annahm und eigentlich kaum jemanden vertraute, um einfach so zu schlafen. Andererseits war das hier Ralph und auch wenn ich ihn erst seit kurzem kannte, hatte ich offensichtlich eine Schwäche für ihn. Innerlich hatte ich ihn eigentlich schon adoptiert, was wirklich besonders war, denn bis jetzt konnte ich nur an eine Person denken, die es so weit geschafft hatte bei mir. Allerdings ebenfalls in kürzester Zeit, denn wenn ich Entscheidungen traf, dann war ich mir auch sicher. Ich denke, das wäre vielleicht eine gute Idee., stimmte ich zu und lächelte schmal, bevor ich mich langsam aus dem Stuhl erhob, Ich bin sicher, sie sind in Ordnung, ich habe auch schon auf der Straße geschlafen.

Ralph stellt sich das unbequem vor. Ich legte den Kopf leicht schief, lächelte dann aber wieder strahlend. Ralph hat einen Polster und eine Decke für Blythe. Obwohl immer noch vorsichtig, aber doch mit viel mehr Energie, ging ich zu meinem Versteck unter der Treppe und zog die besagten Dinge dort hervor, froh, dass ich etwas tun konnte blinkte meine LED vorerst auf blau. Auch wenn ich beides nicht brauchte war ea manchmal doch angenehm sich an den Polster zu kuscheln oder unter der Decke zu verstecken. Triumphierend hielt ich das Bettzeug hoch, legte es dann aber auf die Treppe und trat zur Küchentür. Ralph bleibt hier unten. Er wünscht Blythe eine angenehme Ruhe.

Es war auch ziemlich unbequem, aber notwendig. Ein leises amüsiertes Schnauben ließ ich allerdings doch hören, denn einfach der Fakt, dass er das gar nicht wirklich wusste, dass das unbequem war, war schon zumindest ein bisschen amüsierend. Erstaunt, aber auch sehr dankbar sah ich ihm dann dabei zu, wie er sogar eine Decke und einen Polster hervorzauberte, was deutlich mehr war, als ich je erwartet hätte, in einem Haus wie diesem, das auch noch einem Androiden gehörte. Danke, du bist wirklich großzügig, Ralph. Vorsichtig machte ich meine Schritte in Richtung Treppe, wo ich die Sachen sachte aufhob, immerhin schien Ralph außer diesen Dingen nicht besonders viel zu besitzen. Wenn du etwas brauchst, kannst du mich jederzeit wecken. Ich warf ihm kurz einen leicht ernsten Blick zu, immerhin waren wir hier mitten in einem nicht sehr sicheren Gebiet, aber andererseits wusste ich auch ganz genau, dass meine Sinne schon alleine deswegen auf Hochtouren arbeiteten, weshalb ich bestimmt sowieso bei jedem unbekannten Geräusch wach werden würde.

Ich nickte auf Blythes Worte hin und beobachtete sie von meinem Platz aus. Das wird Ralph tun, aber nur wenn es wirklich wichtig ist. Blythe braucht Ruhe. Ich nickte überzeugt und drehte mich dann um, um in die Waschküche zu gehen. Es war schade um meinem Polster und meine Decke, aber Blythe brauchte sie jetzt und irgendwie war es angenehm etwas für jemand anderen zu tun.

Ich verlasse mich darauf. Ich lächelte kurz sanft und beobachtete ihn, wie er wieder in die Küche ging, denn ich war ihm ehrlich dankbar. Normalerweise wäre ich einfach gegangen, aber ich hatte Ralph versprochen, dass ich ihm helfen würde, auch, wenn ich das jetzt gerade in diesem Zustand einfach nicht konnte. Allerdings hatte ich auch noch nie jemand mit meinen Blumen weitergeholfen, also war die Situation sowieso noch einmal ganz eine andere. Mit wieder stärker werdenden Kopfschmerzen schleppte ich mich also ein zweites Mal heute diese Treppe hinauf, bevor ich mir die anderen Zimmer einmal genauer ansah. Das eine hatte zwar ein Bett, das war allerdings nicht mehr brauchbar, aber im anderen Zimmer waren tatsächlich noch funktionsfähige Betten. Ich wischte ein bisschen von dem Geröll und Staub weg, bevor ich es mir versuchte mit dem Kissen und der Decke so gemütlich wie möglich zu machen. Meine Gedanken waren fest bei Ralph und der etwas seltsamen, aber irgendwie herzerwärmenden Situation, in der wir gelandet waren, als ich in einen unruhigen, aber definitiv notwendigen Schlaf fiel.

Ich behielt die Sonnenblume so lange in der Hand, bis ich einen alten, halb zersprungenen Krug fand, den ich soweit mit Wasser füllte wie er eben noch halten konnte. Ich schnitt mir an den scharfen Scherben in den Finger, ein paar blaue Tropfen meines Blutes klatschten auf den Boden, doch in wenigen Stunden würden die Flecken nicht mehr zu sehen sein. Ich stellte ihn zu meinen Schätzen und platzierte in ihm die Sonnenblune und die Kamille. Ich sah die beiden Blumen lange an, ehe ich mir mein Messer nahm und wieder begann das Wort "RA9" in die Wände zu ritzen. Meine LED blinkte dabei gelb, ich dachte nach, während ich mein Tageswerk ausführte. Ich dachte über Blythe nach, darüber ob ich ihr trauen und glauben sollte. Ich überlegte warum sie mir helfen wollte und fragte mich wieso ihr diese Person ein Messer in die Seite gerammt hatte. Das war nichts, was ich selbst nicht schon getan hatte, deshalb kam ich immer wieder auf die Selbe Antwort zurück: Angst.