Tatsächlich hatte ich einen relativ ruhigen Schlaf und auch im unteren Stockwerk, schien weiterhin einfach nur Ralph beschäftigt zu sein. Jede andere Bewegung, hätte ich sofort gehört und wäre wach geworden. So wachte ich aber erst wieder auf als die ersten Sonnenstrahlen durch das ansonsten blockierte Fenster fielen. Kurz als ich aufwachte, kam eine kurze Panik in mir auf, ehe ich mich an die Ereignisse des letzten Tages erinnerte und mich umsah. Das Haus, so verfallen und einsam es auch wirkte, hatte durchaus etwas heimisches und friedliches, zumindest wenn man von einigen Dingen absah. Die Wunde tat schon deutlich weniger weh als gestern und ich machte mich zuerst auf ins Bad, wo ich sie erneut säuberte und dann den übrig gebliebenen Stoffrest auswechselte, um sie so quasi frisch zu verbinden. Der schlimmste Teil war definitiv schon geschafft. Dann trat ich vorsichtig die Treppe hinunter, da Ralph ja auch gesagt hatte, dass er unten bleiben würde.

Für etwa zwei Stunden war ich in den Schlafmodus über gegangen, doch war immer wieder aufgeschreckt und hatte es dann aufgegeben. Eine weitere Person im Haus schreckte mich doch zu sehr um mir etwas Ruhe zu gönnen. Ich brauchte sie ja auch nicht wirklich. Nun stand ich also wieder seit einigen Stunden in der Küche und wechselte zwischen dem anstarren der Blumen und dem Ritzen von Buchstaben und Zahlen in die Wände hin und her. Als ich Blythes Schritte auf der Treppe hörte war ich gerade wieder an ersterem und fuhr, das Messer natürlich in def Hand, herum und sah zur offenen Tür, die ins Wohnzimmer führte.

Vorsichtig sah ich mich um, auch wenn ich mir recht sicher war, dass nur Ralph hier war. Unten angekommen ging ich instinktiv in Richtung Küche, wo ich ihn auch sofort erkannte. Etwas abrupt blieb ich stehen, erinnerte mich dann aber daran, dass er das Messer gestern schließlich auch schon gehabt hatte und winkte ihm zu. Ich hatte wirklich kaum Grund ihm nicht zumindest zu versuchen zu vertrauen. Beschützen würde ich ihn sowieso, komme was wolle. Guten Morgen, Ralph. Gestern hatte ich nicht wirklich viel Zeit dafür gehabt das Haus anzusehen, weshalb mir auch die Wand-"Dekoration" nicht wirklich aufgefallen war. Interessiert legte ich meinen Kopf schief und musterte die Ritzen, mit denen er wohl selbst die Wand verziert hatte. Was oder wer ist rA9?

Erst als Blythe wirklich im Turrahmen aufgetaucht war senkte ich das Messer und hielt es mit der Spitze nach unten in der Hand. Ralph wünscht Blythe auch einen guten Morgen. Bei ihrer Frage sah ich nachdenklich zu den vielen Zeichen an den Wänden. Ich weiß es nicht. Ich bemerkte nicht wirklich, dass ich von mir in der Ersten-Person gesprochen hatte, doch meine gelbe LED blinkte rapide.

Ich trat ein paar Schritte näher an ihn heran, achtete aber auf einen meiner Einschätzung nach vernünftigen Abstand. Der Öffentlichkeit war nicht allzu viel über die Programmierung von Androiden und somit auch Abweichlern bekannt, was mich zugegebenermaßen nur noch misstrauischer auf die Regierung machte. Vielleicht können wir das ja herausfinden. Irgendwas musste diese Zeichen doch ausgelöst haben, doch solange es nur dabei blieb, konnte es zumindest niemanden schaden. Plötzlich bemerkte ich erst, dass er gerade "ich" gesagt hatte und musterte ihn erstaunt von der Seite.

Ich drehte mich nun voll der Wand zu, in die ich bis eben noch die Zeichen geritzt hatte. Erst nach ein paar Sekunden bemerkte ich Blythes Blick und sah sie unsicher an, von einem Fuß auf den anderen wippend und mit den Fingern an dem Messer herumspielend, auch an der scharfen Schneide. Was ist los? Hat Ralph etwas falsch gemacht? Ist Blythe böse auf Ralph?

Etwas nervös betrachtete ich Ralphs Hände, während er mit dem Messer herumspielte und ich hatte genau dasselbe Gefühl, dass ich manchmal bei Basta bekam, wenn er etwas machte, dass gefährlich nahe an der Grenze zu gefährlich lag. Auf seine Frage hin schüttelte ich sofort meinen Kopf. Nein, du hast gar nichts falsch gemacht, Ralph., meinte ich und lächelte leicht, aber etwas gedankenverloren, während ich fortfuhr, Es ist nur, du hast gerade zum ersten Mal "ich" gesagt, seitdem ich hier war. Ich zuckte mit meinen Schultern, immerhin musste man daraus wirklich keine große Sache machen und ich hatte vermutlich sowieso mehr Fragen zu Androiden im Allgemeinen, als mir Ralph jemals beantworten könnte. Trotzdem war ich ein Stück neugierig, immerhin war er der Erste, den ich kennengelernt hatte, der über sich immer in der dritten Person sprach. Andererseits hatte ich auch noch nicht so viele Gespräche mit Personen geführt, die über ein paar Wörter hinausreichten. Meistens tat ich das, was ich tun wollte oder musste und verabschiedete mich sofort wieder, aber das hier, war einfach anders.

Ich atmete auf, auch wenn mich das flache atmen ja nicht wirklich beeinflusste, doch legte dann mit verwirrtem Blick den Kopf schief. Hat Ralph das? Ist Ralphs Redeart so anders vom "Ich"?

Erklärungen mit Wörtern, Sätzen oder auch Silben anstatt Taten waren einfach nicht so mein Ding, weshalb ich kurz etwas überlegte, bevor ich überhaupt irgendetwas antworten konnte. Um ehrlich zu sein, war das für mich eine beinahe schon philosophische Frage und ich war mir auch nicht sicher, ob ich sie beantworten konnte. Stirnrunzelnd meinte ich also, Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber wenn du normalerweise redest, dann sagst du "Ralph meint..." statt "Ich meine..." und um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, ob das überhaupt einen Unterschied ausmacht. Ich seufzte leise, denn ich war mir nicht sicher, ob ich ihm das überhaupt erklären konnte, immerhin wusste ich nicht einmal ob er ein Konzept von einem "selbst" überhaupt hatte. Eigentlich war ich mir nicht einmal sicher, ob ich genau wusste, was das überhaupt war. Grammatik war noch nie so mein Ding.

Unsicher spielte ich nur noch heftiger mit dem Messer und schnitt mir so nun auch unbewusst in die Finger. Ist es schlecht wie Ralph redet? Nun erst bemerkte ich was passiert war und sah hinab zu meinen Händen. Oh.

Nein, nein, nichts ist mit dir falsch, Ralph, ich- Viel weiter kam ich mit meiner Erklärung aber gar nicht, da ich genauso wie er bemerkte, was mit seinen Händen passiert war und ich riss die Augen auf. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören und besser aufpassen sollen. Allerdings wusste ich auch gar nicht, was ich dagegen hätte machen können, anfassen war schließlich keine gute Idee. Besorgt musterte ich seine Wunden und das blaue Blut, das aus ihnen austrat. Vielleicht legst du das Messer lieber weg. Ich wollte schließlich auf keinen Fall, dass er sich noch mehr verletzte, schon gar nicht, weil ich ihn nervös gemacht hatte. Kann ich dir damit irgendwie helfen? Ich habe keine Ahnung, wie das bei Androiden genau funktioniert, also... Es war schließlich nicht so, als ob die Regierung so etwas überhaupt jemals preisgeben würde, geschweige denn die Wahrheit, ob Androiden nun Schmerzen verspüren konnten oder nicht. Genauso wie bei Metamenschen, war ihr das aber auch einfach nicht so wichtig.

Langsam setzte der Schmerz ein. Schmerzen hatte ich damals erst in jener Nacht kennengelernt, als ich zum Abweichler geworden war. Ich hasste sie. Dennoch waren sie irgendwie faszinierend. Ich zögerte eine ganze Weile, ehe ich mein Messer doch auf der nächsten Ablagefläche ablegte, immer in Greifweite. Die kleinen Schnitte kann Ralphs Selbstreperaturprogramm schließen. Ich hielt meine Hand hoch, um Blythe zu zeigen, wie sich langsam aber stetig die Schnitte an meinem Fingern und am Handballen schlossen.

Leicht fasziniert beobachtete ich, wie schnell sich seine Haut von selbst reparierte. Es ließ mich daran denken, wie viel effizienter und stärker Androiden doch eigentlich im Vergleich zu Menschen waren, vor allem, im Vergleich zu normalen Menschen, welche keine Mutation entwickelt hatten. Das geht wirklich schnell., stellte ich erstaunt fest und griff unterbewusst an meine Seite, immerhin hatte mein Körper noch immer mit der Verletzung zu kämpfen, woran ich allerdings in diesem Moment überhaupt nicht dachte. Stattdessen fragte ich mich, ob es angemessen war, ihm darüber Fragen zu stellen. Ralph, funktioniert dieses Programm eigentlich für immer?

Ich nickte, denn Blythes Feststellung war wahr. Nur leider funktionierte die Selbsreperatur nur bei kleinen und oberflächlichen Wunden. Blythe stellte mir eine Frage, doch ich konnte diese in sekundneschnelle beantworten, immerhin gehörte dieses Wissen zu meiner Programmierung. Bei kleinen Verletzungen schon. Aber wenn Ralphs Thirium-Level zu tief fällt nicht mehr. Zu meinem Glück hatte ich nach dem Vorfall damals meine Thirium-Vorräte wieder auffüllen können, sonst würde mich diese kleinen Schnitte vermutlich langsam umbringen.

Langsam nickte ich, während ich überlegte, was ich schon alles über Thirium wusste. Man nannte es auch "Blaues Blut", das war mir auf jeden Fall klar, da es des öfteren erwähnt wurde. Viel darüber gelernt hatte man allerdings als jemand, der ansonsten nicht viel mit Androiden zu tun hatte, nicht. Okay., meinte ich also leicht nachdenklich, Sollte das einmal passieren, dann meldest du dich bei mir und ich setze alles daran, dir das zu besorgen. Das war vollkommen ernst gemeint, ich würde das schon irgendwie für ihn auftreiben können, auf die eine oder andere Art und Weise, auch wenn ich eigentlich nichts von illegalen Tätigkeiten hielt.